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Krankenhausserien: Wo sind all die Ärzte hin?

Zombiehaft übermüdet: Ben Whishaw in „This is Going to Hurt“
Zombiehaft übermüdet: Ben Whishaw in „This is Going to Hurt“BBC Studios/AMC
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„Grey‘s Anatomy“ bekommt eine 21. Staffel. Es ist das letzte große Krankenhausdrama. Aber was können die Nachfolger? Über asoziale Genies, Teams am Rande des Burn-outs und einen Gynäkologen, der Tattoos absichtlich falsch zusammennäht.

Die 20. Staffel läuft gerade, die 21. ist bestätigt: „Grey‘s Anatomy“ ist damit eine der langlebigsten Krankenhausserien der TV-Geschichte. Das seit 2005 laufende Drama ist zugleich ein ausdauerndes Überbleibsel einer Fernseh-Ära, die es nicht mehr gibt: Es entstammt einer Zeit, in der man eine fixe wöchentliche Verabredung mit seiner Lieblingsserie hatte, in der man zum Bingen auf DVDs älterer Staffeln zurückgreifen musste – und in der der Fernseher nicht nur ein Lagerfeuer der Nation war, sondern auch ihr Spitals-Wartesaal.

Jedenfalls war es die letzte Hochphase der großen, packenden und über Jahre unterhaltenden Krankenhausserien, in denen menschliche Beziehungskonflikte auf medizinische Herausforderungen prallten. Und das mitunter über viele Jahre: So wie es in der Streaming-Ära generell kaum noch derart langanhaltende Dauerhits gibt, so halten auch die Serienärzte heutzutage kaum noch so lange durch wie einst Dr. Doug Ross, J.D. oder Meredith Grey: „Emergency Room“ endete 2009 nach 15 Staffeln, „Dr. House“ und „Scrubs“ brachten es immerhin auf acht bzw. neun.

Und heute? Schauen Serienmacher immer noch gerne hinter die Kulissen des Krankenhausbetriebs, erzählen dabei gern aber auch andere Dinge mit: Sei es eine mitschwingende Klage über die finanziellen Hürden und die psychischen Belastungen in öffentlichen Spitälern, seien es historische oder besonders realistische Einblicke in den Operationssaal. Einige dieser Serien hätten durchaus noch mehr Staffeln verdient …

Apropos Staffeln: Ganz allein an der Spitze ist „Grey‘s Anatomy“ nicht, wenn man den Blick weiter schweifen lässt: Die BBC-Soap „Doctors“ (nur in Großbritannien zu sehen) gibt es seit 2000, sie bringt es gar auf 24 Staffeln und war ein Quotenbringer. Heuer soll sie dennoch enden – der BBC wurde sie zu teuer. Vielleicht schafft es ja künftig doch noch einmal eine neue Serie, in die Fußstapfen der alten Spitals-Dauerbrenner zu treten. Netflix will es offenbar versuchen: Der Streamingdienst produziert mit „Pulse“ seine erste eigene Krankenhausserie, ein „Medical Drama“ nach dem Vorbild von „Grey‘s Anatomy“. Dahinter stecken die Macher von „Lost“ und „Hawaii Five-0“. Starttermin: ungewiss.

„The Good Doctor“: Autisten diagnostizieren besser

7 Staffeln, zu sehen auf Netflix und Sky

Im Wesentlichen gibt es zwei Typen von Krankenhausserien: Die einen zeigen Teams, die tagtäglich mit Herzinfarkten, zu früh geborenen Babys, schlecht behandeltem Diabetes und Schusswunden zu tun haben und nicht nur gegen Krankheiten, sondern auch gegen die Strukturen kämpfen. Die anderen drehen sich um außergewöhnliche Fälle lösende Genies. „Grey‘s Anatomy“ gegen „Dr. House“ sozusagen.

„The Good Doktor“ gehört zu Letzterem, hier steht der autistische Chirurg Shaun Murphy im Mittelpunkt, der zunächst an der adäquaten Kommunikation mit Patienten und Angehörigen zu scheitern droht, aber durch sein fotografisches Gedächtnis und diagnostischen Einfallsreichtum besticht. Schon in der ersten Folge rammt er auf dem Weg zur Arbeit einem ohnmächtigen Buben zum Bestürzen der Umstehenden ein Messer zwischen die Rippen (irgendetwas mit Venenstauung durch erhöhten intrathorakalen Druck), wobei er den Brustkorb mit Whiskey desinfiziert und aus der Flasche und einem Schlauch ein Einwegventil bastelt, damit die Luft entweichen kann. Natürlich gibt es auch hier wohlwollende und weniger wohlwollende Kollegen und Chefs und den einen oder anderen Love Interest. Hoher Binge-Faktor: Mit sieben Staffeln ging die Serie nun zu Ende. (best)

„New Amsterdam“: Das verflixte Gesundheitssystem

5 Staffeln, drei davon sind zu sehen auf Netflix

Diese Serie beruht auf den Erfahrungen eines ärztlichen Direktors, der 13 Jahre lang einem öffentlichen Krankenhaus in New York vorstand. Entsprechend sind die Themen: Es geht um Versorgungsengpässe, zu teure Diabetesmedikamente, bürokratische Hürden und Dr. Max Goodwin, der mit seinem Team alles Mögliche unternimmt, um seinen schlecht versicherten Patienten trotzdem zu helfen. Meistens gelingt es, irgendwann ist auch die hochnäsige Onkologin mit an Bord. Für alle, die sich mit gutem Gewissen unterhalten wollen. (best)

„This Is Going To Hurt“: Ein ziemlich zynischer Gynäkologe

Miniserie, zu sehen auf Canal+

Ist es okay, einen Kaiserschnitt mitten durch’s Delfin-Tattoo anzusetzen – und es absichtlich falsch wieder zusammenzunähen, wenn die Gebärende ein rassistisches Ekel ist? Darf man einem besonders nervigen Paar „aus Versehen“ das Geschlecht seines Ungeborenen verraten? Natürlich nicht. Dass Dr. Adam Kay alles andere als moralisch einwandfrei ist und trotzdem ein Sympathieträger, liegt zum einen an der Vorlage dieser Miniserie: In „This Is Going To Hurt“ gab der britische Komiker Adam Kay zum Schreien komische (und ebenso berührende und erschütternde) Einblicke in seine frühere Karriere auf der Gynäkologie eines skandalös unterdotierten Spitals. Zum anderen liegt es an Ben Whishaw (Q in „James Bond“), der als so kompetenter wie knuffiger, aber auch in absurdem Ausmaß übermüdeter Arzt zwischen Kreißsaal und Ambulanz umherschlurft. (kanu)

Hausgeburt, Frühgeburt, Fehlgeburt: „Push“ lässt nichts aus.
Hausgeburt, Frühgeburt, Fehlgeburt: „Push“ lässt nichts aus.Richard Kranzin

„Push“: Der Alltag dreier Hebammen

Miniserie, zu sehen in der ZDF-Mediathek

Noch eine Serie, die die täglichen Belastungsproben auf einer Geburtenstation schildert, diesmal aus Deutschland und aus Sicht der Hebammen: Auch der Serie „Push“ gelingt ein unüblich realistischer Blick auf Geburten – das Ergebnis wirkt recht didaktisch, doch auch sehr feinfühlig. (kanu)

>> Mehr über „Push“: Ein ehrlicher Blick auf das „Wunder“ Geburt

„Five Days at Memorial“: Fünf Tage ohne Strom

Miniserie, zu sehen auf Apple TV+

Als der Hurrikan Katrina im August 2005 in New Orleans zu toben beginnt, kommen viele ins Memorial Hospital, weil sie Zuflucht suchen. Das Krankenhaus gilt als sicherer Ort. „Five Days at Memorial“ zeichnet nach, wie das Wasser steigt, der Strom ausfällt, die Kommunikation abbricht. Ärzte irren in der schwülen Hitze zombiehaft durch die Gänge, können Patienten kaum mehr versorgen. Und treffen Entscheidungen. Regisseur John Ridley erzählt die wahre Geschichte mit verschiedenen Akteuren im Fokus. Journalistin Sheri Fink, die für ihre Recherche über die Vorkommnisse im Krankenhaus den Pulitzer-Preis bekam, arbeitete mit. Das Ergebnis ist erschreckend realistisch. (rovi)

„Charité“: Von Robert Koch bis in die Zukunft

4 Staffeln, die vierte ist zu sehen in der Arte-Mediathek

Das waren noch Zeiten, als der deutsche Kaiser sich mit dem Geschick der Charité beschäftigte. Über 300 Jahre alt ist das Berliner Krankenhaus, und diese aufwendige ARD-Serie gleichen Namens beleuchtet in drei Staffeln seine Vergangenheit. Von den Wegbereitern der modernen Medizin wie Robert Koch in der ersten Staffel über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in der zweiten bis zum Beginn des Mauerbaus in der dritten. Das war detailtreu, oft charmant, teils bemüht, vor allem bei den fiktiven Frauenrollen, die den historischen Männerfiguren zur Seite gestellt wurden. In der eben gestarteten vierten Staffel springt die Serie in die Zukunft – ins Jahr 2049. (rovi)

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