Grün räumt Wiens Innenstadtbezirke ab, Blau die Außenbezirke. Die SPÖ rinnt nach allen Seiten aus, bringt Wähler nicht mehr zu den Urnen und muss vor der Wahl 2015 zittern.
Wien. Die Wiener SP hat ein Problem. Mit 27,62 Prozent hat sie bei der EU-Wahl am Sonntag ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis eingefahren (siehe Grafik). Für die erfolgsverwöhnte Partei von Michael Häupl wird es unangenehm – stehen doch im nächsten Jahr die Wien-Wahlen an. Eine EU-Wahl ist keine Wien-Wahl, wird seitens der SPÖ gerne argumentiert: anderer Spitzenkandidat, andere Themen. Das ist einerseits richtig, doch zeigt ein Blick auf die Bezirksergebnisse schonungslos die Probleme der Partei.
Die Wiener SP, früher die Bastion der österreichischen Sozialdemokratie, hat ein Mobilisierungsproblem. In Favoriten verlor die SPÖ (im Vergleich zur EU-Wahl 2009) rund 20Prozent ihrer Wähler. Das dortige Plus (weil z. B. Hans Peter Martin nicht mehr angetreten ist) kaschiert nur dieses Problem, das sich quer durch alle Bezirke zieht. Noch kritischer: Die SPÖ verliert ganze Bezirke. Und zwar nicht nur die Innenstadtbezirke, deren Bewohner sehr Grün- bzw. Neos-affin sind. Mit Hernals verliert sie erstmals einen nicht urbanen Bezirk an die Grünen.
Koalition schadet SPÖ, Grüne profitieren
Drittes Faktum: Die SPÖ verliert in der Koalition, die Grünen erreichen Rekordergebnisse: In zehn (!) Bezirken sind die Grünen nun vor der SPÖ, mehrere Bezirke wie Hernals, Alsergrund, Margareten hat die SPÖ an die Grünen verloren. Bitter für die SPÖ: Es war nicht nur eine EU-Wahl mit eigenen Gesetzen. Sämtliche Probleme haben sich bereits bei der Nationalratswahl 2013 gezeigt. Nun haben sie sich verschärft. Wenn Häupl nichts einfällt, hat die Partei 2015 ein ernstes Problem. Vor allem, weil (neben den Grünen in Innenstadtbezirken) die FPÖ parallel in den Flächen- und Arbeiterbezirken wie Donaustadt oder Favoriten zulegt (wenn auch von einem niedrigen Niveau): Rund fünf Prozent Plus in traditionellen SPÖ-Hochburgen wie Floridsdorf, Favoriten, Simmering. Die SPÖ droht nach allen Seiten auszurinnen.
Die Wiener Grünen können dagegen zufrieden sein: Fast die Hälfte der 23 Bezirke leuchtet in Grün, die Neos haben sich als deutlich schwächere Konkurrenz gezeigt als seitens der Grünen befürchtet. Erstmals konnten die Grünen, die immer nur als Umfragekaiser galten, diese Werte in ein Wahlergebnis umsetzen – als zweitstärkste Wiener Kraft vor FPÖ und ÖVP. Paradoxerweise dürften die Neos daran einen guten Anteil haben. Einerseits, weil sie für die Grünen ein Bedrohungsszenario schufen (Stichwort: Kopf-an-Kopf-Rennen), das die grüne Wählerschaft großflächig an die Wahlurnen geholt hat. Andererseits, weil Neos-Spitzenkandidatin Angelika Mlinar von der Privatisierung der Wasserversorgung und des Spitalwesens fantasierte – in einer Stadt, in der die Bevölkerung gewohnt ist, dass sich die Stadtverwaltung von der Wiege bis zur Bahre um alles kümmert. Diese urbanen Wähler gingen nicht zur SPÖ, sondern zu den Grünen.
Die FPÖ kann zufrieden sein. Sie hat (wie vorhin erwähnt) in den Arbeiterbezirken zugelegt. Nach dem schwachen EU-Ergebnis 2009 ist sie bei 18 Prozent, dem Ergebnis der Nationalratswahl. Die Bäume wachsen für die FPÖ aber nicht in den Himmel, es gab „nur“ die erwartbare Korrektur. Aber: Die FPÖ nimmt der SPÖ nicht nur im Gemeindebau Wähler ab, sondern immer mehr auch in den Genossenschaftsbauten in großen Bezirken mit junger Bevölkerung (z. B. Donaustadt).
Bleibt noch die Wiener VP: ein Drittel der Wähler von 2009 verloren, mit 2,4 Prozent das größte Minus aller Wiener Parteien, schwarze Hochburgen werden von den Neos abgeräumt (bis zu minus neun Prozentpunkte), erstmals Platz vier hinter SPÖ, Grünen und FPÖ. Wenn Parteichef Manfred Juraczka nicht langsam etwas einfällt, wird seine Partei bei der Wien-Wahl 2015 auf Platz fünf landen – hinter den Neos.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2014)