Johanna Tradinik: "Man darf Junge nicht mundtot machen"

(c) Stanislav Jenis
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Johanna Tradinik, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, sieht Gemeindepolitik als Vorbild. Sie fordert die gemeinsame Schule der Zehn- bis 15-Jährigen. Gleichstellung im Beruf werde es ohne Frauenquoten nicht geben.

Die Presse: Ärgern Sie sich als junger Mensch über die Politik der Bundesregierung?

Johanna Tradinik: In vielen Punkten ärgere ich mich schon. Gerade wenn in Zukunftsbereichen, wie bei der Bildung, gespart wird, denke ich mir: Wo haben die ihren Kopf? Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Es gibt Bereiche, in denen darf man nicht sparen. Bildung gehört dazu. Wenn es um junge Menschen geht, darf nicht gespart werden.

Von allen Politikern werden die Zukunft und die Jugend beschwören. Wie kommt diese Diskrepanz zustande?

Junger Mensch ist man in Österreich bis zum Alter von 30 Jahren. Insgesamt sind das 2,9 Millionen Menschen, für die wir als Bundesjugendvertretung auch zuständig sind. Aber es haben halt nur die 16- bis 30-Jährigen bei einer Wahl die Möglichkeit, eine Stimme abzugeben. Dabei ist es allerdings kurzsichtig von der Politik, denn Kinder und jene unter 16 Jahren dürfen schließlich irgendwann wählen.

Machen Junge zu wenig auf ihre Anliegen aufmerksam? Warum werden sie etwa im Gegensatz zu Seniorenvertretern ignoriert?

Seniorenvertreter sind ein ganzes Leben lang in der Politik und haben daher auch eine andere Ausgangslage. Junge Menschen machen an sich nicht zu wenig. Wenn sie sich freiwillig engagieren, dann gestalten sie Gesellschaft selbst ganz stark mit. Es fehlt aber vonseiten der Parteien der Wille dazu, junge Menschen einzubinden. Prinzipiell tut die Politik zu wenig, um junge Menschen hereinzuholen. Es braucht unter anderem auch viel mehr Politische Bildung schon in der Schule. Deswegen fordern wir Politische Bildung ab der fünften Schulstufe als eigenes Unterrichtsfach.

Ist die herkömmliche Politik für Junge zu abstoßend?

Ich würde nicht sagen Politik an sich.

Sondern?

Die Personen, die diese betreiben, werden durch ihre Handlungen immer wieder unglaubwürdig. Sie vermitteln nicht den Eindruck, sie würden junge Menschen ernst nehmen. Junge bringen sich gern ein, man darf sie halt nicht mundtot machen. Es gibt zum Beispiel in vielen Gemeinden Kinder- und Jugendgemeinderäte,und das funktioniert auch gut. Das könnte man tatsächlich stark ausbauen, damit junge Menschen speziell ihr Lebensumfeld besser mitgestalten können.

Fällt Ihnen eine Politikerin oder ein Politiker ein, die oder der anders an Junge herangeht?

Mir fallen dazu die jungen Politiker im Nationalrat ein. Namen möchte ich jetzt absichtlich nicht nennen. Bei diesen besteht jedenfalls eine ganz andere Zusammenarbeit und auch eine andere Gesprächsbasis.

Was sind denn für Sie die drei wichtigsten Anliegen, um Österreich zu verbessern?

Ich fordere eine neue Schule, die auf das Jahr 2014 ausgerichtet ist und die dieses Schulsystem ablöst, wie wir es seit über hundert Jahren haben.

Neue Schule klingt nebulos, was bedeutet das konkret?

Dazu gehört eine gemeinsame Schule für alle Zehn- bis 15-Jährigen und auch eine verschränkte Ganztagsschule. Man orientiert sich im Schulwesen heute an den Defiziten und fördert nicht, was junge Menschen können. Nötig ist auch viel mehr Inklusion von Menschen mit Behinderung, damit diese als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft gesehen werden. Noch ein weiterer Punkt trifft gerade für Österreich zu: Man muss Mehrsprachigkeit als etwas Positives stärker fördern.

Das war jetzt ein umfassender Vorschlag für das Schulwesen, der Ihnen als Jugendliche besonders am Herzen liegt. Was sollte darüber hinaus verbessert werden?

Man sollte generell fördern, dass sich junge Menschen politisch engagieren. Angefangen, wie schon zuvor gesagt, bei Politischer Bildung als eigenem Unterrichtsfach in Schulen. Grundsätzlich sollten Politikerinnen und Politiker auf junge Menschen viel mehr zugehen.

Und der dritte Punkt?

Die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen muss vorangetrieben werden. In Österreich ist im Bereich des Bildungswesens Gleichstellung schon vorhanden. Sobald es dann aber ins Berufsleben geht, geht die Gleichstellung bei den Aufstiegschancen oder auch beim Einkommen verloren. Da muss sich etwas ändern. In letzter Zeit wurden darüber hinaus die Väterkarenz und der Väterschutz nach der Geburt politisch aufs Tapet gebracht, was wir sehr begrüßen. Dann hat man nicht mehr das Problem, dass allein Frauen bei einer Anstellung als „Risiko“ gelten, weil sie Kinder bekommen können. Es gibt jungen Männern die Möglichkeit, dass sie in Väterschutz gehen können und die Unternehmen müssen ihnen dieses Recht einräumen.

Sind Sie für Frauenquoten in Spitzenpositionen?

Ja, auf jeden Fall. Ohne Frauenquoten geht es anscheinend nicht, diese gläserne Decke im Berufsleben, die immer noch existiert, zu durchbrechen.

Halten Sie ein Schließen der Einkommenskluft zwischen Frauen und Männern für realistisch?

Das kommt auf die Maßnahmen an, die gesetzt werden. Wenn etwa Frauenquoten und ein verpflichtender Väterschutz umgesetzt werden und wenn auch die Offenlegung von Gehältern tatsächlich praktiziert wird, wird sich diese Kluft sehr schnell schließen. Jedenfalls im Verhältnis dazu, dass sich seit Jahrzehnten nichts geändert hat.

Wollen Sie selbst einmal in die Politik gehen?

Ich bin jetzt schon in der Politik, in der Bundesjugendvertretung. Ich finde es vor allem positiv, dass ich mich dabei, ohne in einer politischen Partei zu sein, engagieren kann.

Ist parteipolitisches Engagement in Ihren Zukunftsplänen ebenfalls vorgesehen?

Derweil nicht.

52 JUGENDORGANISATIONEN UNTER EINEM DACH

Bundesjugendvertretung. In dieser gesetzlich verankerten Interessenvertretung sind insgesamt 52 Jugendorganisationen in Österreich mit völlig unterschiedlichen Ausrichtungen vereint, wie etwa die Kinderfreunde, die Schülerunion, die Blasmusikjugend, die Aktion Kritischer Schüler oder die Jungorganisationen der Parteien. Die Bundesjugendvertretung (BJV) ist wie Arbeiter- oder Wirtschaftskammer eine Sozialpartnerorganisation. Von der BJV werden rund 2,9 Millionen Menschen unter 30 Jahren vertreten.

Johanna Tradinik ist eine der Vorsitzenden der Bundesjugendvertretung. Sie kommt von den Pfadfindern und Pfadfinderinnen Österreichs und führt seit März dieses Jahres turnusmäßig die Geschäfte der BJV. Tradinik studiert Französisch und Geschichte in Wien. Dem derzeitigen insgesamt vier Mitglieder umfassenden Vorsitzteam gehören außerdem weiters an: Jim Lefebre (Junge ÖVP), Laura Schoch (Sozialistische Jugend Österreich) sowie David Neuber (Katholische Jugend Österreich).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2014)

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