Stieger: "Arbeiten im Alter muss sich auszahlen"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Um radikale Einschnitte im Pensionssystem werde die Regierung nicht umhinkommen, prophezeit Leopold Stieger, Gründer der Plattform seniors4success. Ein Gespräch über das Älterwerden und den Jugendwahn der Wirtschaft.

Die Presse: Die Österreicher wollen im Schnitt mit 60 Jahren in Pension gehen. Das hat eine Marketagent-Umfrage ergeben, die Ihre Plattform – seniors4success – in Auftrag gegeben hat. Sie waren angesichts der Ergebnisse „etwas deprimiert“. Womit haben Sie denn gerechnet?

Leopold Stieger: Ich hätte gedacht, dass wir schon weiter sind.

Inwiefern? Dass das üppige Frühpensionsangebot für eine ebensolche Nachfrage sorgt, kann Sie doch nicht überrascht haben.

Aber das war nicht immer so. Mein Großvater musste bis 65 arbeiten, heute gehen die Leute im Schnitt mit 58,6 Jahren in den Ruhestand. Wir glauben, wir halten das nicht mehr aus, aber die Generation, die 1970 in Pension gegangen ist, hat länger gearbeitet als die heutige.

Kann man den Leuten wirklich einen Vorwurf machen?

Es stimmt schon, die Politik hat die Leute erzogen. Aber die Demografie zwingt uns zu Reformen. Die Lebenserwartung steigt jeden Tag um sechs Stunden. Das heißt: Wir leben immer länger, arbeiten aber kürzer. Das geht nicht mehr lange gut.

Die Regierung will das durchschnittliche Pensionsantrittsalter bis 2018 auf 60,1 Jahre erhöhen. Ist das ambitioniert genug?

Ich sehe da, ehrlich gesagt, überhaupt keine Ambition.

Was schlagen Sie vor?

Die Regierung müsste, wie vor dem EU-Beitritt 1995, eine Kampagne zum Arbeiten im Alter machen. Derzeit spielt sich das Pensionsthema ja nur in den Zeitungen ab, die Politik informiert darüber gar nicht.

Mit einer Kampagne allein wird es aber nicht getan sein. Das Pensionssystem ist weit davon entfernt, sich selbst zu finanzieren. 30 Prozent müssen aus dem Budget zugeschossen werden, Tendenz steigend. Was würden Sie tun, wenn Sie Kanzler wären?

Ich würde Anreize schaffen. Wer über das gesetzliche Pensionsalter – 65 bei Männern, 60 bei Frauen im ASVG – hinaus beschäftigt bleibt, bekommt einen jährlichen Zuschlag von 4,2 Prozent. Diesen Prozentsatz würde ich deutlich erhöhen. Arbeiten im Alter muss sich auszahlen. Und sämtliche Pensionsprivilegien würde ich beseitigen.

Auch die Invaliditätspension?

Diese ist ein eigener Punkt. Wenn Menschen ein Leben lang am Bau gearbeitet haben und zerschunden sind, braucht es eine eigene Lösung. Aber die Hacklerregelung, die für Langzeitversicherte und nicht für Hackler geschaffen wurde, gehört schlagartig abgeschafft.

Die Regierung argumentiert an dieser Stelle immer mit dem Vertrauensschutz.

Ich bitte Sie, der spanische Premier Rajoy hat bereits in die Pensionen eingegriffen. Und irgendwann wird das auch Werner Faymann tun müssen, weil es nicht anders geht. Wer die langfristige Perspektive betrachtet, kommt daran nicht vorbei. Und je länger man zögert, desto größer werden die Einschnitte sein.

Würden Sie das gesetzliche Pensionsantrittsalter nicht anheben?

Ich würde es an die Lebenserwartung koppeln.

Eine Pensionsautomatik also.

Ja, das wäre eine vernünftige Form. Sonst muss man ständig nachbessern, wenn die Leute älter werden.

Haben Sie Ihre Anliegen schon im Kanzleramt vorgebracht?

Ich hatte einmal die Gelegenheit, mit Faymann zu sprechen. Da habe ich ihm gesagt: Um mich mache ich mir keine Sorgen mehr, aber ich habe sieben Enkelkinder. Und wegen Ihrer Feigheit, etwas zu entscheiden, werden meine Enkel das eines Tages auslöffeln müssen.

Woher kommt diese Scheu der Regierungsspitze vor Reformen?

Ich weiß es nicht. Das scheint irgendwie das Wesen dieser Regierung zu sein, sie fällt doch nirgendwo eine radikale Entscheidung. Immer sucht sie den Kompromiss. Eine mutige Politik, einen Politiker mit Weitblick gibt es nicht mehr.

Gibt es denn eine Partei, der Sie Reformen zutrauen?

Die Neos haben einen neuen Zugang, den das Land gut gebrauchen kann. Ich habe mir zwischenzeitlich schon Hoffnungen gemacht...

Aber?

Sie machen sich das Leben selbst schwer. Mit diesem Religionssprecher – dem mit dem Nudelsieb auf dem Kopf (Niko Alm, Anm.) – haben sie alle Katholiken verärgert.

Was raten Sie jemandem, der Ende 50, Anfang 60 ist und bald in Pension gehen könnte?

Wenn er sich für den Ruhestand entscheidet, braucht er eine Vision. Das ist wesentlich, denn die Pension ist der gravierendste Übergang im Leben. Angenommen, jemand möchte eine Imkerzucht aufziehen, dann bereitet er sich schon vor der Pension vor und stürzt sich am ersten Tag ins Geschehen. So jemand hat zum Kranksein gar keine Zeit.

Aber es muss doch auch in Ordnung sein zu sagen: Ich habe lang genug sehr viel gearbeitet, jetzt lasse ich es mir gut gehen.

Natürlich, aber die Hängematte macht nicht glücklich. Viele sagen: Ich habe alles, eine Frau, eine Wohnung, ein Auto – trotzdem geht es mir nicht gut. Und warum? Weil mich niemand wirklich braucht.

Wollen Pensionisten keine Ruhe haben, wollen sie gebraucht werden?

Genau. Wenn jemand für sich selbst Schmetterlinge sammelt, kann er die Sammlung eigentlich gleich auf den Misthaufen werfen. Wenn es ihm aber gelingt, mit dieser Sammlung ganze Schulklassen zu faszinieren, dann ist es eine Herausforderung. Es geht darum, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.

Viele haben allerdings gar keine Wahl: Sie würden noch gern einen Beitrag in ihrem Beruf leisten, werden aber vom Unternehmen nicht mehr gebraucht – sprich: in die Pension gedrängt.

Es gibt diesen Jugendwahn der Wirtschaft, also den Glauben, dass ein Junger besser ist. Die Betriebe kapieren nicht, was die Alten können. Dass sie etwas besitzen, was die Jungen nicht haben: Erfahrung. Und diese kann für ein Unternehmen unheimlich wertvoll sein.

Ältere Arbeitnehmer sind allerdings auch viel teurer als junge.

Das ist ein berechtigter Einwand. Die Gehaltskurve steigt in Österreich bis zuletzt an, am Ende macht sie dann noch einmal einen Loop.

Was wäre die Lösung – eine flachere Gehaltskurve?

Natürlich. Eines Tages werden das hoffentlich auch die Arbeitnehmervertretungen einsehen.

AUF EINEN BLICK

Veröffentlichen auch Sie ihre besten Ideen für Österreich: diepresse.com/99ideenZur Person. Leopold Stieger (75) war selbstständiger Personalentwickler, in der Pension hat er die Plattform seniors4success gegründet, die sich u.a. dafür einsetzt, ältere Arbeitnehmer länger im Erwerbsleben zu halten.

Die Ideen. Stieger schlägt vor, das Pensionsantrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Für jene, die über dieses Alter hinaus arbeiten, soll es deutlich höhere Pensionszuschläge geben. Außerdem setzt er sich für eine Verflachung der Gehaltskurven ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2014)

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