Arbeit: "Manches können 70-Jährige besser als Junge"

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Der deutsche Gerontologe Andreas Kruse appelliert an Unternehmen, Mitarbeiter kontinuierlich weiterzubilden - auch ältere. Für das Unternehmen sei das rentabel: Es gebe weniger Fehltage, mehr Kreativität und Produktivität.

Die Presse: In der Wirtschaft gilt man ab 45 Jahren als alt. Ab wann würden Sie als Gerontolge jemanden als alt bezeichnen?

Andreas Kruse: Wann jemand für alt befunden wird, hängt davon ab, was man mit Alter assoziiert. Es kann sowohl als Verlust als auch als Gewinn verstanden werden.

Ist Alter in der Arbeitswelt zu negativ konnotiert?

In gewisser Weise schon. Wir assoziieren mit einem älteren Arbeitnehmer gemeinhin jemanden, der weniger innovativ ist. Dabei bringen diese viele Stärken mit. Alter sollte ganz anders wahrgenommen werden.

Und zwar wie?

Älteren Arbeitnehmern sollte bewusst Verantwortung übertragen werden. Sie könnten sich etwa um junge Mitarbeiter kümmern, Patenschaften übernehmen. Dann würde „alt“ auf einmal „erfahren“ heißen.

Wie sollte ein Arbeitgeber mit dem Thema Alter umgehen?

Der Arbeitgeber sollte das Tätigkeitsportfolio des Arbeitnehmers kontinuierlich an dessen Kompetenzen und Bedürfnisse anpassen. Es gibt Anforderungen, die kann ein 60-, 65- oder 70-Jähriger besser erfüllen als ein 30-Jähriger. Andererseits gibt es bestimmte – vor allem körperliche – Anforderungen, die ein Arbeitnehmer schon mit 50, 55 Jahren nicht mehr erfüllen kann. Ältere Arbeitnehmer sollten also aus stark geschwindigkeitsorientierten Berufen herausgenommen werden und eine Stelle bekleiden, bei der der Überblick wichtiger ist.

Ab wann sollte sich ein Arbeitgeber Gedanken über altersadäquate Aufgaben und eine entsprechende Weiterbildung machen?

Zwei Dinge sollten von Beginn an bedacht werden: Der Mitarbeiter hat das Grundrecht auf Bildung. Er hat aber auch die Verpflichtung, sich weiterzubilden. Diese Weiterbildung sollte weder ab einem bestimmten Alter beginnen noch mit einem bestimmten Alter enden. Sie sollte kontinuierlich stattfinden.

Was bringt das dem Unternehmen?

Dem Einzelnen bringt es eine ungleich höhere Lebensqualität, und dadurch nimmt die Loyalität dem Unternehmen gegenüber zu. Die Arbeitnehmer haben dann nicht mehr den Eindruck, dass das Unternehmen sie primär unter dem Leistungsaspekt – also dem Ertrag, den sie erbringen – betrachtet. Außerdem steigt die Motivation der Mitarbeiter, da die psychische Erschöpfung durch abwechslungsreiche Tätigkeiten nicht so schnell eintritt. Und: Wer motivierter ist, ist nicht nur psychisch, sondern auch körperlich gesünder.

Weiterbildung kostet das Unternehmen aber auch einiges.

Sie ist dennoch rentabel. Das Ganze rechnet sich aus verschiedenen Gründen: Es gibt weniger Fehltage, die Kreativität wie auch die Produktivität der Mitarbeiter steigt.

Sollte ein Unternehmen klar definierte Weiterbildungsprogramme anbieten oder den Mitarbeitern freie Hand bei der Auswahl der Fortbildung lassen?

Das sollte genau definiert sein. Das heißt aber nicht, dass ein Training on the Job stattfinden soll. Die Weiterbildung sollte deutlich weiter gefasst werden, aber in einem vorgegebenen Rahmen stattfinden.

Ist Weiterbildung auch bei älteren Arbeitnehmern eine gute Investition für das Unternehmen?

Ja. Wenn ein älterer Arbeitnehmer nicht mehr gebraucht wird, dann nimmt seine Produktivität ab – er kündigt innerlich. Wenn Alte und Junge zusammenarbeiten, dann werden sie das Wissen in bemerkenswerter Weise heben können.

Gibt es eine optimale Generationenmischung?

Optimal wäre es, wenn Firmen erfahrene Mitarbeiter – mit 55, 60 oder 65 Jahren – mit neuen, jungen Mitarbeitern systematisch zusammenführten. Dabei entstehen ganz neue Arbeitsstrategien.

Schürt das nicht Konflikte?

Zwischen jungen Menschen gibt es ungleich mehr Konfliktpotenzial. Zwischen Jung und Alt ist es weniger kompetitiv. Die über 60-Jährigen wollen nicht noch mehr werden, sie haben dem Unternehmen schon bewiesen, was sie können. Und die Jungen merken wiederum, dass man – um es bildhaft auszusprechen – auch einem alten Hund neue Tricks beibringen kann.

Ist Weiterbildung im Alter – etwa in der Pension – Notwendigkeit oder Luxus?

Notwendigkeit.

Auch bei der Pensionistin, die Altgriechisch studiert?

Da ist es wohl eher Luxus. Hier müsste man sich Gebührenmodelle überlegen. Das heißt: Die Leute, die die Ressourcen haben, sollten dafür zahlen. Wobei es mit Blick auf die Persönlichkeitsentwicklung sehr gut ist, sich den Luxus zu leisten.

Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Gebildeten im Alter weiterbilden und die weniger Gebildeten auch hier den Zugang zur Bildung nicht finden?

Die Gefahr besteht. Deshalb sollten Leute spätestens im mittleren Erwachsenenalter mit Weiterbildung beginnen können. Wenn die Menschen im Betrieb Bildungserfahrungen machen, dann hat das positive Konsequenzen auf die Bildung im Alter. Außerdem müssen die Bildungseinrichtungen viel Hirnschmalz darauf verwenden, um niederschwellige Bildungsangebote zu schaffen.

Wie kann so etwas gelingen?

Indem ich den Leuten etwa sage: Die Geschichte unserer Gemeinde ist noch nicht aufgearbeitet, könnten Sie uns eventuell helfen? Die Leute müssen stark lebensweltlich angesprochen werden.

Das hilft?

Ich bin überzeugt, dass Menschen mitgestalten wollen. Wenn Rentner nur noch Urlaub machen und sich ganz aus dem Gemeinwohl herausnehmen, dann tun sie sich mit Blick auf Gesundheit und Kompetenzen keinen Gefallen.

DIE IDEE

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Andreas Kruse (58) ist Gerontologe und Psychologe. Er hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten und ist seit 2003 Vorsitzender der deutschen Altenberichtskommission Die Ideen. Er schlägt vor, älteren Arbeitnehmern Verantwortung zu übertragen. In Firmen sollte es eine gute Altersmischung und Fortbildungen geben. [ Generali Deutschland ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2014)

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