Wohngeschichten: Die Alm im Villenviertel

Architekt und Immobilientreuhänder Johann Kaiser lebt in einer Holzhütte in Wien Döbling – und damit seinen ganz persönlichen Wohntraum.

Beim Rauffahren komme ich innerlich schon runter.“ Man fühlt eine Art Seligkeit bei Johann Kaiser, wenn er von seiner „Alm“ spricht. In der Koschatgasse, unweit des Türkenschanz- und quasi neben dem Hugo-Wolf-Park, liegt sie, von der Straße aus nicht zu sehen. Auch nach dem Öffnen der alten Gittertür – ein gewisser Kraftaufwand ist erforderlich – ist erst einmal alles grün. Nach dem Erklimmen der steinernen Stufen aber, auf der Holzbank vor der kleinen Holzhütte sitzend, ist man tatsächlich auf der Alm angekommen. Und heruntergekommen: Plötzlich erscheint vieles, das gerade noch wichtig war, weit weg.

In exponierter und nicht minder exklusiver Döblinger Lage, nur 15 Autominuten von der Innenstadt entfernt, umringt von Villen bewohnt Architekt und Immobilientreuhänder Kaiser kein Haus, sondern eine Holzhütte. Und zwar eine wie aus dem Bilderbuch. Inmitten von wuchernder Wiese. Klein, idyllisch, pittoresk. Mit grasgrünen Fensterläden und Hirschgeweih, was schon fast kitschig wirkt. Die Gesamtsituation: Die Vögel zwitschern und Jacques Brel singt im Hintergrund.

Aber nicht jeder Gast ist hier gleich selig. „Manche Menschen, die mich zum ersten Mal besuchen, haben den Eindruck einer gewissen Unordnung.“ Doch Kaiser geht es um ein anderes Ordnungsprinzip: „Hier auf der Alm überlasse ich alles der Natur. Ich lasse ihr den Freiraum, sich zu entfalten. Und dabei entsteht etwas Wunderbares.“ Für ihn als Architekt sei Ordnung ein großer Teil seines Berufes. Der Garten hingegen habe seine eigene Ordnung und sei damit der perfekte Gegenpol zum stressigen Arbeitsalltag einer 80-Stunden-Woche. Tun, ändern und ordnen könnte man natürlich vieles. Der Hausherr beschränkt sich allerdings darauf, das Biotop einmal im Jahr zu entleeren. Den Nussbaum alle vier bis fünf Jahre zu schneiden, notwendige Arbeiten – wie das Installieren von Sanitäranlagen und die Instandhaltung der Wasserversorgung – vorzunehmen und einen „gewissen Aufwand des Aufräumens“ zu pflegen. Alles andere ist Natursache. Genius loci.

Den Dingen ihren Lauf lassen

Natürlich liegt bei einem Architekten die Frage nahe, ob ihn nicht doch die eine oder andere optische oder bauliche Veränderung am Haus reizt. Nein, sagt Kaiser. „Der Mensch ist ein Getriebener, das bin ich grundsätzlich auch. Hier aber bin ich anders. Hier lasse ich den Dingen ihren Lauf.“

Einen Lieblingsplatz im Garten hat er übrigens nicht. „Mit den Tageszeiten und den Jahreszeiten wandert und verändert sich der Garten. Damit verändern sich auch die Plätze. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass man überall im Garten sitzen kann.“ Oder in der Hängematte liegen, oder unterm Kirschbaum duschen. Sogar ein Rasierspiegel ist am Baum montiert. Es sind die Kleinigkeiten, auf die es ankommt. „Im Herbst, wenn ich morgens unter der Dusche stehe und durch den durchziehenden Nebel auf die Stadt blicke, das ist unbeschreiblich.“

Fast 700 Quadratmeter misst das Grundstück, rund 30 davon nimmt das Häuschen ein. Darin findet sich alles, was man braucht. Toilette – erst seit Kurzem auch mit Spülung, davor wurde geplumpst –, kleine Küchenzeile, Schlafzimmer. Dort will etwas so gar nicht ins Bild passen: ein überdimensionaler Flatscreen, direkt vor dem Fenster. „Ja, ich schaue hier auch gern einmal einen Film“, erklärt Kaiser. „Das ist gerade im Winter herrlich.“ Entertainment bietet freilich der Garten zur Genüge. An die tausend Frösche erblicken in Kaisers Biotop Jahr für Jahr das Licht der Welt. Ein kleiner Fuchs kommt regelmäßig zu Besuch, eine ganze Schar an Katzen will täglich verköstigt werden.

Beruflich erfüllt Kaiser die Wohnträume anderer, mit der Alm seinen eigenen. Seit zehn Jahren verbringt er die warme Jahreszeit dort. Sobald die Temperaturen steigen, verlagert er seinen Wohnort von 1060 nach 1190 Wien. „Im Frühjahr zelebrieren Sascha Wussow, mein Nachbar, und ich den Einzug und den Start der neuen Saison.“ Da wird dann auf der Alm auch schon der eine oder andere Golfball abgeschlagen. „Er hat den englischen Rasen, ich habe den schottischen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2014)

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