25 Jahre HIV und keine Aussicht auf den Impfstoff

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Robert Gallo sieht „Katastrophe wie bei ,Challenger‘“. Das Virus hat 60 Millionen befallen und 30 Millionen zu Tode gebracht.

Als Ärzte in Uganda 1981 Patientinnen zu Gesicht bekamen, die vor ihren Augen dahinschwanden, gaben sie der Krankheit den Namen „Slim“. Aber wen interessierten schon Frauen irgendwo im dunklen Afrika? Im Westen zumindest niemanden, dort sah es gerade eher nach Paradies aus: Die Freiheit schien grenzenlos, zumindest die der Sexualität – der Pille sei Dank! –, die Macht schien auch grenzenlos, die wissenschaftliche Machbarkeit bzw. der Glaube an sie waren am Zenit: Die Infektionskrankheiten galten als besiegt – den Antibiotika sei Dank! –, an US-Universitäten waren entsprechende Abteilungen reihenweise geschlossen worden.

Da tauchten, im gleichen Jahr 1981, auch in San Francisco ausgemergelte Gestalten in den Hospitälern auf, die Ärzte nannten die Krankheit „Aids“, nun zog sie Aufmerksamkeit und Geld auf sich, zunächst oft auch Ressentiment: Die Betroffenen kamen von sündigen sozialen Rändern – Schwule, Fixer –, wer weiß, welche Götter sie straften! Diese mentale Sicherung hielt nicht lange, man griff zur nächsten und rief die moralische Wende aus: Statt der sexuellen Revolution galt nun, vor allem in den USA, die Idylle der Abstinenz, sie fand ihren Höhepunkt in Jungfrauen-Vereinen, die öffentlich dem vorehelichen Sex abschworen. Zugleich zog die Medizin das größte aller Forschungsprogramme auf, 1983 kamen Früchte: Luc Montagnier (Paris) präsentierte den Verursacher, ein Virus, das er HTLV-1 nannte; kurz darauf präsentierte der Amerikaner Robert Gallo das gleiche Virus, er hatte die Proben von Montagnier, ein böser Streit hob an, es ging um Geld und Ruhm.

Dann nannte man es HIV („human immunodeficiency virus“), und zunächst sah alles nach medizinischem Business as usual aus: Es gab ein Virus, man würde einen Impfstoff entwickeln, und zwar einen, der völlige Sicherheit („sterilising immunity“) verleiht. Das können nur Antikörper: Diese Waffen des Immunsystems heften sich an Eindringlinge in den Körper und fangen sie ab, bevor sie Schaden anrichten können. Es gelang auch, Antikörper zu entwickeln, aber sie wirkten nicht. „Man war zuversichtlich, rasch einen Impfstoff entwickeln zu können, aber Anfang der 90er-Jahre war alles fehlgeschlagen“, erinnert sich Gallo gegenüber der „Presse“: „Unter uns Forschern herrschte blanke Depression.“

Das scheinbar schwach ausgestattete Virus – es hat ganze neun Gene – war zu wandlungsfähig: Zum einen mutiert es rasch, Antikörper erkennen es nicht mehr, zum anderen ändert es ausgerechnet in dem Moment seine Struktur, in dem es an Zellen andockt, dann greifen Antikörper ins Leere. Zudem attackiert das Virus nicht irgendwelche Körperzellen, es zielt ins „Herz“, auf das Immunsystem selbst, auf dessen zweite Waffe: Killerzellen, sie fressen für gewöhnlich Zellen, die von Viren befallen sind. Nun werden sie selbst angegriffen und erschöpft, bis das Opfer an irgendeiner Krankheit stirbt (nicht an Aids, es tötet nicht, es schwächt nur das Immunsystem).

Wie kommt so etwas Diabolisches in die Welt? Irgendwo und irgendwann ist es aus den Wäldern Afrikas gedrungen, mit Affen. Die haben ein ähnliches Virus – SIV –, aber es tut ihnen nichts, erst beim Übergang auf den Menschen hat sich ein Gen so verändert, dass das Virus tödlich wurde. Wo und wann war das? Das ist strittig, die Mehrheit tippt auf die 50er-Jahre und „bush meat“: Affenjäger und/oder -köchinnen haben sich am Blut infiziert und den Erreger sexuell verbreitet, lange nur regional, dann, über die Karibik in die USA und von dort in die restliche Welt.

Mitte der 90er-Jahre zeigte sich Licht am Horizont, es gab Medikamente, die zwar das Eindringen des Virus nicht verhindern (wie ein Impfstoff), aber das eingedrungene Virus in Schach halten. Eine Kombinationstherapie (HAART) entschärft so die tödliche Krankheit zu einer chronischen, mit der man leben kann, ähnlich wie bei Diabetes.

Keine Therapie für Arme

Soferne man das nötige Geld hat. Die Therapie kostete tausende Dollar im Jahr, viele Armenhäuser können kaum einen für die medizinische Versorgung ihrer Bürger aufbringen. Aber auch bei den Reichen werden die Infektionen wieder häufiger, HAART hat die Vorsicht sinken lassen. Insgesamt wurden nach Science-Zählung bisher 60 Millionen infiziert, 30 Millionen starben.

Wirklich helfen könnte nur ein Impfstoff, nach vielen Rückschlägen ging man wieder ans Entwickeln. Letztes Jahr war der erste große klinische Test, er endete in einem „Fiasko“: Der Impfstoff half nicht nur nichts, er machte alles viel schlimmer, manche Testpersonen wurden empfindlicher für das Virus, infizierten sich. „Das ist eine Katastrophe in der Größenordnung der Explosion des Space-Shuttle ,Challenger‘“, vergleicht Gallo: „Und wie bei der ,Challenger‘ sind Fehler gemacht worden, die nicht gemacht hätten werden sollen.“

Der zentrale Fehler war in den Augen Gallos der Impfstoff selbst: Der zielte nicht auf die Stärkung der ersten Verteidigungslinie – Antikörper –, er setzte auf die zweite, die zelluläre Abwehr: „Kein ernsthafter Forscher glaubt, dass diese Impfstoffe eine Chance haben, aber man testet sie weiter, und es lässt sich vorhersagen, wie es ausgehen wird: Es wird wieder eine verstärkte Infektion geben.“

Böse Folgen des Fehlschlags

Und andere Folgen auch: „Das wird in der Öffentlichkeit böses Blut geben, es wird weniger Geld geben, und es wird weniger Freiwillige für Tests geben.“ Das hat sich bestätigt, Aids-Aktivisten haben zum Abbruch aller Impfstoff-Entwicklungen aufgerufen.

„Ein HIV-Impfstoff ist extrem schwierig, manche meinen, es werde nie einen geben, das fürchtete etwa der verstorbene Entwickler des Polio-Impfstoffs, Alfred Sabin“, berichtet Gallo. Er gibt die Hoffnung nicht auf, er arbeitet seit Jahren an einem Impfstoff – Antikörper, die auf die Strukturveränderung ansprechen, die HIV beim Andocken an Zellen durchläuft – und hat in Tests an Affen Teilerfolge, aber auch „technische Probleme: Ich hoffe, dass wir in sechs bis acht Monaten entscheiden können, ob wir in klinische Tests an Menschen gehen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2008)

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