Diese Sanktionen sind keine große Sache

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In den nächsten Wochen könnte Putin zeigen, dass er nicht so gemeingefährlich ist, wie der Westen glaubt. Sonst könnte dieser Herbst Krieg bringen.

Wirklich überrascht darf keiner sein: Dass Russland als Antwort auf die Wirtschaftssanktionen der EU Importverbote gegen europäische Länder verhängt, ist zu erwarten gewesen. Der Lebensmittelstopp ist vergleichsweise eine kleine Eskalation in der Spirale der politischen Distanzierung und totalen Entfremdung zwischen dem Westen und Russland. Bisher waren solche von Russland verhängten Maßnahmen offiziell gar keine Sanktionen: Einfuhrverbote auf bestimmte Lebensmittel waren in den vergangenen Jahren beliebte Mittel, unbotmäßige Nachbarn zu bestrafen. Ob die Republik Moldau, Litauen oder Georgien, Moskau übte unter fadenscheinigen Vorwänden wie angeblichen Hygienedefiziten oder plötzlich drohender Gesundheitsgefährdung immer wieder massiven wirtschaftlichen Druck aus. Wenn die Betroffenen dann von Sanktionen sprachen, reagierte der Kreml verwundert bis empört: Wirtschaftssanktionen sähen doch ganz anders aus.

Demnach sind diese wirtschaftlichen Aktionen im gefährlichen Spiel der gegenseitigen Drohungen und Maßnahmen keine so große Sache, so hart sie für die betroffenen Lebensmittelproduzenten und Landwirte auch sein mögen – in Österreich sind etwa 1,2 Prozent der Agrarausfuhren betroffen. Wenn schon bald bestimmte Lebensmittel günstiger werden dürften, da osteuropäische Produzenten ausweichen und billigere Äpfel, Tomaten und Schweinefleisch auf den mittel- und westeuropäischen Markt werfen werden, sollten sich die Konsumenten nur bedingt freuen: Nachhaltig ist das nicht, die Forderungen nach Ausgleichszahlungen für die Landwirtschaft werden bereits erhoben und ihnen wird von der Politik wohl wie immer nachgegeben werden. Länder wie Finnland könnten gar in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen. Und der Euro ist zwar über den Berg, aber noch immer auf dem Weg der Genesung.

Schon deswegen wären Berlin, Paris und London gut beraten, nicht sofort wieder eine scharfe Antwort auf die Wirtschaftssanktionen gegen Moskau zu suchen und stattdessen nachzudenken, wie Maßnahmen zur Deeskalation aussehen könnten. Oder anders formuliert: wie man Wladimir Putin dabei hilft, ebensolche zu setzen.

Solche Signale wären in den nächsten Wochen keine schlechte Idee, denn der Herbst könnte sonst die völlige Zuspitzung des brandgefährlichen Konflikts bedeuten. Je kälter es in Richtung Neujahr wird, desto klarer wird den Europäern bewusst werden, wie groß die Abhängigkeit vom russischen Gas ist. Zudem werden tausende russische Rekruten, die im Frühling ihren Militärdienst antraten, im Herbst ihre Grundausbildung abgeschlossen haben. Beobachter warnen davor, dass die jungen Männer möglicherweise auf eine Intervention in der Ostukraine vorbereitet werden.


Wie „Der Spiegel“ zum Beschluss der Wirtschaftssanktionen geschrieben hat, war der Abschuss der Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine der – zynisch formulierte – „game changer“, jener Moment, der den Lauf einer Krise in Vorher und Nachher teilt, weil Öffentlichkeit und Politik gemeinsam den Atem anhalten und sich neu besinnen. Plötzlich war allen Beteiligten klar, dass es echte Wirtschaftssanktionen wird geben müssen. Das ist passiert, das war notwendig und gerechtfertigt.

Doch was nun? Hoffen, dass Putin plötzlich Tonnen an Kreide einnimmt und auf alle Forderungen der EU eingeht? Das wird nicht passieren. Eine Lösung dieses äußerst beunruhigenden Konflikts wird nur möglich sein, wenn es ernsthafte Signale gibt, wieder in Verhandlungen einzutreten. Dafür müssten Europa und der Westen wohl Kiew sowie die Rebellen dazu bringen, eine Waffenruhe zu beginnen. Derzeit scheinen beide Seiten dazu nicht gewillt. Das können sich eigentlich weder Putin noch die Europäer von ihren jeweiligen Freunden gefallen lassen.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2014)

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