Grätzeltour: Wien Landstraße

Heimito von Doderer befand die Landstraße als platt und gemein. Schriftsteller Dieter Sperl ist ganz anderer Meinung über seinen Heimatbezirk.

Rund um den Anfang der Ungargasse in Wien Landstraße verdichten sich die berühmten Namen: Ingeborg Bachmann hat die Gegend im Roman „Malina" als „Ungargassenland" beschrieben und ein paar Jahre lang um die Ecke, in der Beatrixgasse, gelebt. Joseph von Eichendorff hat auf Nummer acht gewohnt, auf Nummer fünf Beethoven eine Symphonie zu Ende gebracht. Ein Stück aufwärts residierte Emilie Flöge. Auf der anderen Seite der Landstraßer Hauptstraße wohnte etwa Robert Musil - in den Stallungen des Palais Rasumofsky. Und Heimito von Doderers zweite Adresse war nebst der Stammgasse 12 das Café Zartl, wobei er nur mäßige Begeisterung für das Umfeld hegte: Die Gegend sei ein „gemeiner, ordinärer und platter Bezirk".

Häuser und Atmosphären

Locker könnte Dieter Sperl eine längere Liste an Literaten, Malern, Musikern, Architekten - auch der lebenden, die er hin und wieder trifft - im Kern von 1030 verorten. Erstens kommt er auf seinen ausgedehnten Spaziergängen regelmäßig an Häusern, Gedenktafeln und deren Geschichten vorbei. Zweitens ist Sperl selbst Schriftsteller und Literaturwissenschaftler. Drittens ist der „Dritte" in einigen Erzählungen seines Buches „absichtslos" zum Schauplatz geworden. Und viertens wohnt Sperl mit seiner Frau mitten drin - in der stillen Barichgasse, wo er den Verlauf der Sonne in einer Eckwohnung schätzt. Ihn reizt das Angenehme und Übersichtliche an dieser Ecke - der Weinviertler Bauer, der einmal die Woche seinen Laden aufsperrt. Oder der Amateurfilmklub. Oder der Kunstraum namens Bildetage, dessen Räumlichkeiten Sperl eigentlich auch gern gemietet hätte, um dort mit Blick auf die Straße zu arbeiten. So geht Sperl eben offenen Auges seine Runden, betrachtet, filtert und macht sich Gedanken über die baulichen, noch mehr über die atmosphärischen Veränderungen. Dabei hat sich eine gewisse Liebe zu bestimmten Objekten entwickelt: In fast jedem Winkel des dritten Bezirks hat Sperl eine Art Lieblingshaus, am Unterlauf der Landstraßer Hauptstraße ist es ein größeres Objekt aus der Gründerzeit, das schon lang vor sich hinzudämmern scheint. In der Barmherzigengasse ist es das ehemalige Rekonvaleszentenheim der Barmherzigen Brüder, dessen älteste Teile aus dem Ende des 18. Jahrhunderts stammen und dessen Fassade den Betrachter austrickst: „Man beachte hier die falschen Fenster." Auch das große Zinshaus aus der Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert am Kopf des Ziehrerplatzes mag er sehr.

Salettl und Aida

„Früher war hier tote Hose", meint Sperl über das Ende der 1990er, als er herzog. Und vieles gibt es nicht mehr. Was aus dem Eos-Kino - vor wenigen Jahren wurde das Lichtspieltheater aus den 1950ern geschlossen - geworden ist: eine Altkleiderbörse mit gepolsterten Türen. Ein früher Verlust auch im Arenbergpark, wo nur das hübsche Salettl (mit Gastgarten) im Schatten von zwei Flaktürmen übrig ist: „Dabei stand hier einmal eine weitaus größere Anlage." Doch als großartig befindet Sperl die Kulisse rund um den Dannebergplatz: „Die Häuser haben etwas Pariserisches hier."

Bei allem Bäckerei-, Kaffee- und Lokalboom, der zuletzt einige Abschnitte der Landstraßer Hauptstraße erfasst hat, schätzt Sperl das Konstante. Er meint damit die Kleinen, die unbeeindruckt weitermachen: den Blumenladen in dem kleinen Häuschen, den Eissalon bei der Uhr an der Apostel- und Baumgasse. Und die Aida, sie schätzt Sperl, der auch in Rom eine Zeit lang gelebt hat, für einen schnellen Espresso.

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