Junckers „glorreiche Sieben“

Juncker, the incoming president of the European Commission, presents the list of the European Commissioners and their jobs for the next five years, during a news conference at the EC headquarters in Brussels
Juncker, the incoming president of the European Commission, presents the list of the European Commissioners and their jobs for the next five years, during a news conference at the EC headquarters in Brussels(c) REUTERS (YVES HERMAN)
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Der Kommissionspräsident strukturiert die Brüsseler Behörde gemäß seinen politischen Vorstellungen um und setzt auf starke Vizepräsidenten.

Brüssel. Dieser Augenblick war im Brüsseler Europaviertel mindestens ebenso sehnsüchtig erwartet worden wie anderswo das neue iPhone. Just einen Tag nachdem der US-Konzern Apple im kalifornischen Cupertino mit viel Pomp und Trara die Neuauflage seines begehrten Mobiltelefons enthüllt hatte, stellte der designierte Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, am gestrigen Mittwoch um punkt zwölf Uhr mittags sein 27-köpfiges Team vor – ein „Siegerteam“, das die Europäische Union durch die wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen der Gegenwart lotsen soll, wie der Christdemokrat aus Luxemburg bei der Präsentation seiner künftigen Mitarbeiter anmerkte.

Drei Prioritäten hat sich Juncker für die kommenden fünf Jahre gesetzt: erstens die EU ihren Bürgern näherbringen, zweitens eine „Politik aus einem Guss“ machen und drittens „die Dinge ein bisschen aufmischen“, also der Brüsseler Behörde eine Frischzellenkur verpassen. Einen Vorgeschmack auf den neuen Stil lieferte der Kommissionschef in spe während seiner Präsentation, die er – dank des linguistischen Startvorteils, den er als Luxemburger genießt – in drei Sprachen hielt: Englisch, Deutsch und Französisch. Der wichtigste Teil der Präsentation, die Reorganisation der Kommission, war dem Französischen vorbehalten – „denn Frankreich ist bekanntlich das Land der Revolution“.

„Kommissare keine Bürokraten“...

Und in der Tat wird in den kommenden Tagen und Wochen ein Hauch von Revolution durch die Gänge des Hauptquartiers der EU-Kommission wehen. Mit seinem Organigramm ist es Juncker gelungen, gleich in zweifacher Hinsicht aus dem Schatten zu treten: dem seines Vorgängers, José Manuel Barroso, und dem jener nationalen Regierungen, die die Kommission am liebsten als eine reine Verwaltungsbehörde ohne weiterreichende Ambitionen sehen würden. Junckers Selbstverständnis steht diesem Wunsch allerdings entgegen. „Die Kommissare sind keine Bürokraten, sondern Politiker“, stellte er gestern klar.

Die Botschaft ist deutlich: Die Juncker-Kommission will – und wird – politischer agieren als ihre Vorgängerin. Dafür spricht erstens die Auswahl der Kommissare – unter ihnen befinden sich fünf ehemalige Regierungschefs, vier Vizepremiers und 19Minister – und zweitens die neue Struktur der Behörde: Sie wird nämlich in Projektgruppen gegliedert, die unter der Obhut von insgesamt sieben Vizepräsidenten stehen werden. Oder um mit Junckers Worten zu sprechen: „Ich werde der große Koordinator der etwas weniger großen Koordinatoren sein.“

Diese Aufteilung ist dem politischen Versprechen geschuldet, das Juncker als Spitzenkandidat bei der Europawahl den Wählern gegeben hat: Die Projektgruppen entsprechen nämlich jenen Prioritäten, die sich der neue Kommissionschef in seinem Wahlprogramm gesetzt hat: der Schaffung eines digitalen Binnenmarkts, der Arbeit an einer Energieunion, Wirtschaftswachstum und Investitionen sowie der Genesung der Eurozone und der sozialen Dimension der Währungsunion. Für jedes dieser vier Themenbereiche wird ein Vizepräsident federführend verantwortlich sein und die Arbeit der dafür zuständigen Kommissare koordinieren. Die Bulgarin Kristalina Georgiewa wird als die für Budgetfragen zuständige Vizepräsidentin mit allen Ressortchefs zusammenarbeiten.

...und der Sheriff

Unter den glorreichen sieben haben zwei Vizepräsidenten eine Sonderstellung: EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, die vom Rat, dem Gremium der Mitgliedsländer, nominiert wurde und ihr klar umrissenes Aufgabengebiet hat, sowie der Niederländer Frans Timmermans, der als Erster Vizepräsident sozusagen in die Rolle des Sheriffs schlüpft und als Junckers rechte Hand agieren wird. Seine Aufgabe wird es sein, den Präsidenten im Bedarfsfall zu vertreten sowie alle Gesetzesvorschläge der Brüsseler Behörde hinsichtlich der Subsidiarität zu prüfen – damit sich die Kommission nur auf Bereiche mit politischem Mehrwert beschränkt. Diese Neugestaltung ist allerdings nicht unproblematisch, denn sie schafft eine Zweiklassengesellschaft im Kollegium: Damit der Gesetzesvorschlag eines „einfachen“ Kommissars auf die Tagesordnung kommt, muss nämlich der für ihn zuständige Vizepräsident grünes Licht geben. Bis dato hatte ausschließlich der Kommissionspräsident dieses Vetorecht, Juncker wird nun diese Kompetenz an seine Stellvertreter delegieren, was potenzielle Konfliktgefahr birgt, sollten sich einige Mitgliedsländer deklassiert fühlen. Juncker sieht diese Sache naturgemäß anders: „Die Vizepräsidenten sind Animateure und Gruppenführer, aber keine Aufseher.“ Überhaupt seien Kommissare keine Interessenvertreter ihrer Staaten: „Die Regierungen schlagen Kandidaten vor, aber sie kriegen keine Portfolios.“ Eine weitere potenzielle Gefahrenzone: Die Projektgruppen sind nicht scharf umrissen, sondern überlappen einander. Die Folge: Kommissare arbeiten mehreren Vizepräsidenten zu, was zu Reibungsverlusten führen könnte.

Abgesehen von der neuen Gliederung fällt beim Team Juncker die Rücksichtnahme auf die kleineren EU-Mitglieder auf. Mit Ausnahme von Mogherini stammt kein Vizepräsident aus einem großen Mitgliedsland, zudem kommen vier Vizepräsidenten – neben Georgiewa die Slowenin Alenka Bratušek, der Este Andrus Ansip und der Lette Valdis Dombrovskis – aus dem ehemaligen Ostblock.

Und noch etwas fällt auf: Das Wirtschaftsressort wurde aufgeteilt. Der Brite Jonathan Hill wird künftig für den Finanzmarkt zuständig sein – ein Achtungserfolg für die britische Regierung –, während der ehemalige französische Finanzminister Pierre Moscovici für Wirtschaft, Finanzen und Steuerfragen zuständig sein wird – eine brisante Wahl, hat Paris doch größte Probleme damit, die EU-Budgetvorgaben zu erfüllen. Für Juncker lag diese Entscheidung auf der Hand, denn Moscovici sei als Franzose der bestgeeignete Mann, um „unseren französischen Freunden“ die Notwendigkeit der fiskalischen Konsolidierung zu erklären. Moscovicis Spielraum wird ohnehin eingeschränkt, denn die für ihn zuständigen Vizepräsidenten – der Lette Dombrovskis und der Finne Jyrki Katainen – zählen zu den fiskalischen „Falken“. So gilt also auch in der neuen Kommission das alte Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“.

Weitere Infos:www.diepresse.com/europa

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2014)

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