Jugendproteste: Die Angst der Europäer vor der Rezessionsrevolte

(c) EPA (Orestis Panagiotou)
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Am Wochenende kam es in Athen zu neuen Krawallen, die Polizei setzte Tränengas ein. Aber auch in Dänemark, Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien häufen sich die Proteste.

Athen (ag.).Sogar der Weihnachtsbaum blieb nicht verschont: In Athen kam es am Samstag erneut zu schweren Krawallen. Rund 150 Menschen behängten am Nachmittag die Äste des rund 18 Meter hohen Weihnachtsbaums auf dem zentralen Athener Syntagmaplatz mit Müllsäcken und lieferten sich gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die rund 200 Demonstranten bewarfen den künstlichen Weihnachtsbaum mit Müll und skandierten: „Das haben eure Weihnachten verdient.“ Die Polizei ging mit Tränengas gegen die Demonstranten vor.

Randalierer attackierten zwei Wochen nach dem tödlichen Schuss auf einen Jugendlichen zwei Banken sowie zwei staatliche Gebäude. Sieben Polizeiautos gingen in den bis zum frühen Sonntagmorgen andauernden Ausschreitungen in Flammen auf.

Angesichts der neuen schlechten Umfrageergebnisse für die regierende bürgerliche Partei Nea Dimokratia (ND) und Regierungschef Kostas Karamanlis wurde in Athen unterdessen für die kommenden Tage mit einer umfangreichen Regierungsumbildung gerechnet.

Die Krawalle begannen nach einer Mahnwache an der Stelle, an der am 6. Dezember der 15-Jährige Alexandros Grigoropoulos von einer Polizeikugel getötet worden war. Bei der Mahnwache scherten rund 150 Demonstranten aus und zogen zur Technischen Universität. Von dort griffen sie die Polizei an.

In der Hafenstadt Thessaloniki (Saloniki) besetzten rund 40 Demonstranten ein Kino. Andere bewarfen den konservativen Bürgermeister der Stadt mit Tortenstücken, wie das Fernsehen zeigte. Landesweit kam es vorübergehend zu Besetzungen von lokalen Radiostationen, die jedoch alle friedlich verliefen. Die Besetzer sendeten Erklärungen, die Polizei, die Konsumgesellschaft und Vetternwirtschaft anprangerten.

Umfragen deuteten unterdessen auf einen Einbruch bei der Unterstützung für die regierende Nea Dimokratia und Ministerpräsident Karamanlis hin. Nach einer in der konservativen Zeitung „Kathimerini“ (Sonntagsausgabe) veröffentlichten repräsentativen Umfrage würden die oppositionellen Sozialisten unter Giorgos Papandreou bei Neuwahlen 38,5 Prozent der Stimmen erhalten. Die Nea Dimokratia würde dieser Umfrage zufolge nur 32,5 Prozent bekommen.

Zudem gilt Papandreou erstmals seit 2004 als der am besten geeignete Politiker, um das Land zu führen. Bei einer Umfrage erhielt Papandreou 35 Prozent und Karamanlis 34 Prozent. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Bürger sich parteiübergreifend große Sorgen über den politischen Kurs des Landes machen. 86 Prozent der Befragten waren der Ansicht, es gehe in die „falsche Richtung“.

Droht ein Flächenbrand?

Angefacht wurden die Proteste in Griechenland durch die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis. In den vergangenen Tagen häuften sich aufgrund der Rezession in mehreren europäischen Ländern Proteste, so etwa in Dänemark, Deutschland, Italien Frankreich und Spanien. In Hamburg kam es am Wochenende ebenfalls zu Ausschreitungen. Nach Polizeiangaben wurden mindestens vier Polizisten verletzt und zehn Demonstranten festgenommen.

In Paris hatten am vergangenen Donnerstag 150.000 Schüler gegen die von Bildungsminister Xavier Darcos geplante Reform des Gymnasiums protestiert. Angesichts der Unruhen in Griechenland hatte die Regierung in Paris angekündigt, die Reform um ein Jahr zu verschieben. Ursprünglich sollten die Lehrpläne geändert, Stunden gestrichen und 13.500 Stellen eingespart werden.

Zuletzt warnte auch der französische Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, vor sozialen Spannungen in den entwickelten Ländern: Um das zu verhindern, müsse „das Finanzsystem so umgebaut werden, dass es allen und nicht nur einer kleinen Elite“ nutze. Strauss-Kahn kündigte an, dass der IWF im Jänner seine Wachstumsprognose nach unten korrigieren werde, falls die Regierungen bis dahin nicht ausreichend Geld zur Stimulierung der Wirtschaft bereitgestellt hätten.

HINTERGRUND

Regierungskrise. Die griechische Regierungspartei Nea Dimokratia von Ministerpräsident Kostas Karamanlis verliert in jüngsten Umfragen immer mehr an Boden: Nach einer Umfrage würden die oppositionellen Sozialisten unter Giorgos Papandreou bei Neuwahlen 38,5 Prozent der Stimmen erhalten. Die Nea Dimokratia würde dieser Umfrage zufolge nur 32,5 Prozent bekommen. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Bürger sich parteiübergreifend große Sorgen über den politischen Kurs des Landes machen. 86 Prozent der Befragten waren der Ansicht, es gehe in die „falsche Richtung“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2008)

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