Krankenkassen: Diagnose "Chronischer Geldbedarf"

(c) Www.BilderBox.com (Www.BilderBox.com)
  • Drucken

Seit Jahren doktern Politiker erfolglos an einer Gesundheitsreform herum. Es fehlen die Konzepte. Die Regierung macht nun Geld locker, obwohl die großen Probleme nicht gelöst werden.

Die Regierung rang am Montag bei ihrer Klausur in Osttirol um eine Sanierung der maroden Krankenkassen. So viel, wie Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) anpeilte – 411 Millionen Euro für versicherungsfremde Leistungen wie Wochengeld oder Krankengeld für Arbeitslose –, sollte es nicht werden. Finanzminister Josef Pröll wünscht sich zudem Strukturreformen. Dienstag wird weiterverhandelt. Wo liegen die Probleme? Vier zentrale Fragen und Antworten zum Gesundheitssystem:

1 Warum sind die Krankenkassen ein akuter Sanierungsfall?

Weil die staatlich vorgeschriebenen Leistungen und die ebenfalls gesetzlich festgelegten Einnahmen bei vielen Krankenkassen seit Jahren auseinanderklaffen. Dadurch erhöhte sich der Schuldenberg aller Gebietskassen auf 1,2 Milliarden Euro. Alle Krankenkassen zusammen geben pro Jahr mehr als 13 Milliarden Euro aus. Aber die Zinsenlast drückt schwer. Allein die Wiener GKK muss für Schulden von 620 Millionen Euro an die 20 Millionen pro Jahr aufwenden.

2 Gibt es Musterschüler, und wer sind die Problemkinder?

Schon der Rechnungshof hat die oberösterreichische Gebietskrankenkasse, deren Obmann der jetzigen Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) war, zum großen Vorbild stilisiert. Nicht alle Gesundheitspolitiker und Gesundheitsökonomen waren darob begeistert, weil ein Vergleich unter den Gebietskrankenkassen oft ein Vergleich zwischen Äpfel und Birnen ist. Der Beitragssatz ist zwar bei allen mit 7,65 Prozent des Bruttogehalts gleich und auch der Leistungskatalog ist nahezu ident. Die Möglichkeiten der einzelnen Kassen hängen aber von der Struktur ihrer Versicherten ab. So ist etwa Oberösterreich bessergestellt – weniger Arbeitslose, höhere Einkommen –, das Burgenland durch mehr Pensionisten schlechter. Für Letztere bekommen die Kassen nämlich keinen Arbeitgeberanteil, der Bund leistet nur einen kleinen Ausgleich. Und Städter sind statistisch gesehen kränker als Landbewohner. So hat die Wiener Kasse die erwähnten 620 Millionen Euro Schulden angehäuft und die oberösterreichische ein Guthaben von 260 Millionen Euro. Doch auch für Letztere sehen die Prognosen (siehe Grafik) nicht allzu rosig aus. Am besten geht es seit Jahren der Beamtenversicherung (die Selbstbehalte und so gut wie keine Arbeitslosen hat), und auch die unter Schwarz-Blau mit kräftigen Finanzspritzen sanierte Bauernkasse schreibt schwarze Zahlen.

3 Warum ist so lange nichts passiert?

Eine Gesundheitsreform ist ein Megaprojekt, an dem bisher jeder Minister scheiterte – vor allem, weil ihm die nötigen Kompetenzen fehlen. Sein Durchgriffsrecht auf die selbst verwalteten Kassen ist beschränkt und die Länder als Spitalserhalter tun erfahrungsgemäß nur das, wovon sie am meisten profitieren. So konzentrierte sich der Reformeifer unter Schwarz-Blau vorerst auf die politische Umfärbung des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Effekt: null. Einige rote Würdenträger wurden abgelöst, der Verfassungsgerichtshof hob die neuen Strukturen mehrfach auf. Die letzte größere Reform brachte dann Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) 2004/2005 durch. Wobei die von ihr eingesetzten Landesgesundheitsplattformen nur bedingt funktionieren. Sie sollen eine gemeinsame Planung der Gesundheitsversorgung im Spitalssektor und im niedergelassenen Bereich gewährleisten. Alte Doppelgleisigkeiten sind aber nach wie vor nicht beseitigt. Die im vergangenen Sommer gescheiterte Reform von Rot-Schwarz war weniger breit und nur als Krankenkassensanierungsreform angelegt. Sie scheiterte am Widerstand der Ärzte und an ÖVP-internen sowie an kasseninternen Querelen.

4 Wo liegt der größte Reformbedarf?

Die drückenden Schulden der Krankenkassen sind sicher eines der Hauptprobleme des Gesundheitswesens. Sie hängen allerdings auch damit zusammen, dass die Kassen zwar 28 Prozent ihrer Ausgaben für die Spitäler verwenden müssen, auf diesen Sektor aber keinen Einfluss haben. Ein großer Wurf scheitert regelmäßig am Reformunwillen der Länder. Im Vergleich dazu ist der Veränderungswille der niedergelassenen Ärzte groß. Nach der harten Konfrontation vom Sommer kam es zwischen Ärzte- und Kassenvertretern zu so mancher Annäherung – z. B. was das Verschreiben von Medikamenten betrifft. Mit einem Anteil von 21 Prozent an den Gesamtkosten und den größten Ausgabenzuwächsen liegt die Pharmabranche nämlich seit Jahren schwer auf den Taschen der Kassen – auch wenn sie Sparauflagen zustimmte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Michael Haeupl
Innenpolitik

Steuerreform: Häupl droht mit Verfassungsklage

Gespräche müssten nun mit Ländern geführt werden - "Gehen ohne Vorbedingungen hinein"
Ursula Haubner
Innenpolitik

BZÖ fordert Hälfte der AK-Umlage für Krankenkassen

Die Sanierung der Kassen durch Steuern ist für BZÖ-Chef Scheibner der falsche Weg. Wirtschafts-Kammer-Präsident Leitl begrüßt das Paket der Regierung zur Krankenkassen-Sanierung.
Werner Faymann, Josef Proell
Innenpolitik

Regierungsklausur: Vom Kuschelkurs abgekommen

Das Streitthema Kassenreform wird vertagt. SPÖ und ÖVP
können sich vorerst nicht über weitere Zuschüsse für die Krankenkassen einigen.
Leitartikel

Leitartikel: Verkehrte Behandlungsmethode

Schwindsucht in der Krankenversicherung: Da helfen alte Rezepte eines Ex-Kassenchefs als Minister wenig.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.