Als die „Vernunft“ Gott aus Frankreich vertrieb

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Wie religiös grundiert darf ein Staat sein? Oder soll er sich mit dem Diesseits begnügen? Sechs Modelle im Vergleich.

Wie hältst du's mit der Religion? Auch für Staaten ist die Gretchenfrage eine von Identität und Selbstverständnis. Die Antworten reichen von Staatskirchenmodellen bis zur laizistisch strengen Trennung.

1. Die Church of England, geführt von der Queen

„Supreme Governor of the Church of England“. Auch mit diesem Titel darf sich Queen Elisabeth II. schmücken, denn England hat zwar keine geschriebene Verfassung, dafür aber eine protestantische Staatskirche, geführt vom König bzw. der Königin. Dies gilt seit der Thronbesteigung der ersten Elisabeth 1558. Davor hatte Maria Tudor versucht, die unter ihrem Vater Heinrich VIII. erfolgte Loslösung vom Vatikan mit aller Gewalt („Bloody Mary“) zu revidieren.

Politisch zeigt sich das Staatskirchentum bis heute auch darin, dass 26 Bischöfe der Church of England festen Sitz im House of Lords haben. Ihren politischen Einfluss hat die Kirche seit dem 18. Jahrhundert sukzessive verloren. 2008 wurde das Blasphemiegesetz aufgehoben, das Gotteslästerung (im Sinn der Staatskirche) unter Strafe gestellt hatte. An den Schulen ist Religion Pflichtfach, das vorgeschriebene tägliche Gebet in der Schule fällt in der Praxis immer öfter weg.

2. Lutherische Staatskirchen in Skandinavien

Auch in Nordeuropa dominieren die (protestantischen) Staatskirchen: In Dänemark ist Königin Margrethe II. Oberhaupt der „Volkskirche“, über deren Belange auch das Parlament ein Mitsprachrecht hat. Die norwegische Kirche wird von König Harald V. geführt, die Regierung in Oslo ernennt die Bischöfe. Schweden hat sich im Jahr 2000 vom Staatskirchentum verabschiedet.

3. Staatsnahe Kirchen in der orthodoxen Welt

Die christliche Orthodoxie zeichnet sich traditionell durch eine große Nähe zur weltlichen Macht aus. Der (institutionelle) Gipfelpunkt waren die „Fürstbischöfe“ von Montenegro, bis ins 19. Jahrhundert geistliche und weltliche Herrscher. In der Sowjetunion und ihren europäischen Satellitenstaaten wurde die Religion gnadenlos unterdrückt. In den letzten zwei Jahrzehnten erobern sich die orthodoxen Kirchen langsam Macht und Einfluss wieder zurück. Dies gelingt weitaus leichter, wenn es eine gemeinsame nationalistische Basis mit der weltlichen Herrschaft gibt, etwa im Milo?evi?-Serbien, aber auch in Putins Russland.

4. USA: Religiös neutrale „Nation unter Gott“

„Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einrichtung einer Religion betrifft, die freie Religionsausübung verbietet...“, heißt es im „Ersten Zusatzartikel“ der Verfassung der USA aus dem Jahre 1791. Offiziell hat der Staat also religiös neutral zu sein und darf keine Religionsgemeinschaft bevorzugen, was in der Regel auch streng ausgelegt wird.

Umstritten ist daher der tägliche Fahneneid der Schüler, in dem es heißt „One Nation under God“, eine Passage, die erst in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts dazukam. Ähnliches gilt für den Spruch „In God We Trust“ auf den Dollarscheinen. Präsident George W. Bush wurde für die Bevorzugung christlicher Gruppierungen etwa bei der Aids-Prävention kritisiert.

5. Frankreich: Die Revolution als Zäsur

Frankreich hat 1905 in seiner Verfassung den Laizismus und damit eine scharfe Trennung von Staat und Kirche eingeführt. Dies war der Endpunkt einer Entwicklung, die im Lande der „allerchristlichsten Könige“ mit der Revolution 1789 eingesetzt hat. 1790 mussten Priester und Bischöfe den Eid auf die Verfassung leisten, oder sie wurden abgesetzt, viele Kirchen der „Vernunft“ geweiht. Die Revolution hat nachhaltige Spuren hinterlassen, der Laizismus ist fest im Bewusstsein vieler Franzosen verankert. Dies erklärt auch den Protest, den Präsident Sarkozy 2007 auslöste, als er sagte: „Frankreichs Wurzeln sind essenziell christlich.“

6. Türkei: Laizismus mit Religionsministerium

Atatürk verankerte den Laizismus als eine der Säulen seiner kemalistischen Ideologie, die de facto eine Art Religionsersatz darstellt. Der Laizismus wurde 1924 in der Verfassung abgesichert. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Kontrolle der Religion durch den Staat. Dies verdeutlicht das „Amt für religiöse Angelegenheiten“ der Regierung. Es ist für die Bestellung und Besoldung der Imame zuständig und hat bis vor Kurzem auch die Freitagspredigten vorgegeben. Andere Religionsgemeinschaften wie Christen, aber auch Alewiten, sind rechtlich stark benachteiligt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2009)

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