Großbritannien: „Cameron würde sich eine blutige Nase holen“

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Politiker in Berlin warnen London vor Plänen, die Freizügigkeit in der EU zu beschränken.

Wien/Berlin/London. „Das geht auf gar keinen Fall.“ Deutlicher als der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im deutschen Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), kann man es nicht sagen: David Cameron hat mit seinen jüngsten Plänen zur Einwanderungspolitik eine Reizschwelle überschritten, die auch in Berliner Regierungskreisen als No-go für die Mitgliedschaft eines Landes in der Europäischen Union gilt. In den kommenden Tagen will der Premier neue Regeln für EU-Bürger vorstellen, die dauerhaft nach Großbritannien einwandern wollen – darunter dem Vernehmen nach das Vorhaben, gering Qualifizierte mit einem klar definierten Quotensystem zu belegen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit aber ist für Deutschland nicht verhandelbar; „sie gehört zur DNA der EU“, sagt Krichbaum im Gespräch mit der „Presse“. „Sollte Cameron einseitig ein Quotensystem einführen, würde er sich eine blutige Nase holen. Großbritannien würde vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden und verlieren“, warnt der CDU-Politiker. Zuvor haben Regierungspolitiker im „Spiegel“ dargelegt, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ein Ende der deutschen Bestrebungen um Großbritanniens Verbleib in der EU bedeuten könnte und ein Point of no Return erreicht sei.

Debatte über Kompetenzrückgabe

Die klaren Worte aus Berlin treffen Cameron umso härter, als er in Kanzlerin Angela Merkel die wichtigste Verbündete für die Pläne einer Neuverhandlung der EU-Mitgliedschaft seines Landes sieht, die er vor dem geplanten EU-Referendum 2017 anstrebt: Auch Deutschland tritt für eine Debatte über die Rückübertragung bestimmter Kompetenzen von Brüssel auf die nationalstaatliche Ebene ein. Und selbst in der Frage einer restriktiveren Einwanderungspolitik zeigte die Berliner Regierung bisher Verständnis – hat sie doch gerade die Regeln für EU-Bürger anderer Mitgliedstaaten verschärft. „Es gibt innerhalb der Verträge Möglichkeiten, die Einwanderung in Sozialsysteme zu erschweren“, so Krichbaum. Regierunssprecher Steffen Seibert versucht zu kalmieren: Probleme bei der Ausnutzung der Freizügigkeit sollten gemeinsam angegangen werden.

In London aber dürfte die Botschaft angekommen sein: Das deutsche Credo, Großbritannien mit aller Kraft in der EU halten zu wollen, ist – gelinde gesagt– in Gefahr.

Dennoch reagierte die britische Regierung auf die Warnsignale am gestrigen Montag mit betonter Gelassenheit. „Ich hatte erst vor ein paar Tagen gute Gespräche in Berlin. Sie verstehen unseren Standpunkt“, erklärte Schatzkanzler George Osborne im BBC-Interview selbstbewusst. Zugleich betonte er: „Diese Regierung stellt das nationale Interesse an erste Stelle.“

Hinter den Kulissen wiederum heißt es, London wolle von der Idee einer Quotenregelung für EU-Zuwanderer abrücken und stattdessen „die bestehenden Regelungen bis zum äußersten Limit ausreizen“.

Kein Mittel gegen Ukip

Wie das genau aussehen soll, bleibt weiter ein gut gehütetes Geheimnis. Oder, wahrscheinlicher: Niemand weiß eine Antwort darauf, was Cameron in seiner groß angekündigten Rede zum Thema Einwanderung überhaupt ankündigen will. Selbst der Termin steht in den Sternen. Nach Informationen aus Regierungskreisen soll die Rede erst nach der Nachwahl in Rochester am 20. November erfolgen.

Das wiederum bedeutet, dass die Regierung den Sitz an die rechtspopulistische United Kingdom Independence Party (Ukip) bereits so gut wie verloren gegeben hat: Die Truppe um Nigel Farage treibt das politische Establishment mit einer Mischung aus Anti-EU- und Anti-Einwanderungspolitik seit Monaten vor sich her – und die Position der rapide schwindenden Zahl der proeuropäischen Politiker wird durch die jüngsten Zahlungsaufforderungen der Kommission und Belehrungen vom Kontinent nicht gerade erleichtert. In der Wahrnehmung der Briten, die hunderttausenden jungen Spaniern, Italienern oder Griechen, die in der Heimat keine Chance auf eine Zukunft haben, einen Job geben, werden sie für den Erfolg ihres harten Sanierungskurses nun auch noch bestraft.

Die deutsche Position aber ist klar: Alles kann man eben nicht durchgehen lassen, heißt es in Berlin hinter vorgehaltener Hand. Seit dem Beitritt Großbritanniens habe sich die EU von einer Freihandelsgemeinschaft zu einer politischen Union weiterentwickelt, und die Briten müssten selbst entscheiden, ob sie die gemeinsamen Grundwerte noch teilen. Tatsächlich gibt es Anzeichen, dass das Volk seinen Politikern voraus ist: In den vergangenen Wochen ist die Zustimmung zur EU deutlich gewachsen; eine Mehrheit der Briten würde heute für den Verbleib in der Union stimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2014)

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