Wien bleibt Herr der Leichenkammer

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Eine Seniorin kämpfte für private Totenkammern und scheiterte vor dem Verfassungsgericht: Weiterhin wird jeder tote Wiener in einer Leichenkammer der Stadt zwischengelagert.

Der Gedanke, einmal in einer Leichenkammer der Stadt zu landen, ist einer Wienerin zuwider. Schon bei ihrem verstorbenen Mann hatte es sie gestört, dass der Ort der Leichenaufbewahrung nicht bestimmt werden konnte. Bis zum Höchstgericht kämpfte die Frau dafür, dass ihr Leichnam einmal in der Kammer ihres Vertrauens aufbewahrt wird.

Denn während Privatbestatter zulässig sind, hat die Stadt das Monopol auf Leichenkammern. Doch das sei rechtlich in Ordnung, urteilt der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in dem der „Presse“ vorliegenden Urteil: Dem Wiener Gesetzgeber komme in diesem Bereich „ein weiter Gestaltungsspielraum“ zu.

Laut § 10 des Wiener Leichen- und Bestattungsgesetzes sind nur Leichenkammern, die zu einer Bestattungsanlage gehören, erlaubt. Und damit nur solche, die der Stadt Wien gehören. In anderen Bundesländern hingegen seien private Leichenkammern gang und gäbe, wandte die Frau vor Gericht ein. Ohne Erfolg. Denn so sei das nun einmal in einem Bundesstaat, beschieden die Richter. Verschiedene Länder dürften eben verschiedene Regeln beschließen.

Die Wiener Regierung hatte vor Gericht den Status quo verteidigt. SPÖ, FPÖ und Grüne waren dafür, dass die Leichenkammern weiterhin in der Hand der Stadt bleiben, die ÖVP dagegen. „In Wien ist selbst das Sterben verstaatlicht“, meinte im Zuge der Debatte der schwarze Gemeinderat Wolfgang Ulm („Die Presse“ berichtete bereits im Februar).

„Werde irgendwann sterben“

Im Prozess ging es zunächst einmal um die Frage, ob die Frau überhaupt antragslegitimiert ist. Sie sei „Wiener Landesbürgerin und werde irgendwann sterben“, rechtfertigte die Frau ihren Antrag. Das Wiener Gesetz betreffe sie daher unmittelbar. Die Stadt sah das anders: Die strittige Norm sei nur eine Vorschrift für Behörden. Das Unterbringen in einer Leichenkammer betreffe auch gar nicht mehr „die Rechtssphäre“ von Bürgern, sondern sei lediglich eine „faktische Reflexwirkung“.

In diesem Streitpunkt siegte noch die Frau: Das Gesetz greife sehr wohl in das „höchstpersönliche Recht eines (noch lebenden Menschen), Verfügungen über seinen Leichnam zu treffen“, ein, befanden die Richter. Und ließen die Klage zu.

Doch Rechte von Bürgern können eingeschränkt werden, wenn es gute Gründe dafür gibt. Und solche würden hier vorliegen, meinte die Stadt Wien. So entspreche es dem öffentlichen Interesse und jedenfalls dem Wunsch der Bevölkerung, die „Begegnung mit dem Tod“ auf jene Orte zu konzentrieren, die dafür geeignet und städteplanerisch vorgesehen sind. Die Frau meinte hingegen, man könne auch durch Vorschriften an private Leichenkammern die Hygiene sicherstellen. Zudem würde es wegen der Engpässe in städtischen Kammern passieren, dass Särge auf den Boden gestellt werden, was „hygienisch nicht optimal wäre“.

Freiheiten bei Grabstätten

Der VfGH kam aber summa summarum zum Schluss, dass die Wiener Regelung den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht überschreitet. Schließlich hätten Wiener einen „großen Freiraum“, wenn es um die Errichtung von Grabstätten, die Gestaltung von Trauerzeremonien oder die Modalitäten der Beerdigung gehe. Vor diesem Hintergrund sei es in Ordnung, wenn die Stadt die Wahlfreiheit bei Leichenkammern einschränke. Es stecke ja ein öffentliches Interesse dahinter: Gesundheitsgefahren sollen beseitigt werden, die Pietät gewahrt bleiben.

Abseits aller rechtlichen Fragen dürfte das VfGH-Urteil aber auch finanziell von Bedeutung sein. Denn private Bestatter müssen von der Stadt Wien Plätze in Leichenkammern mieten. Zehn Prozent aller Bestattungen werden von privaten Firmen durchgeführt. Insgesamt sterben in Wien pro Jahr rund 14.000 Personen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 8. November 2014)

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