In der Ostukraine atmen die Menschen seit der weitgehenden Einhaltung der Feuerpause auf. Doch niemand ist sicher, wie lange sie tatsächlich halten wird.
Nach Donezk ist seit der Feuerpause, die seit vergangenem Dienstag weitgehend eingehalten wird, wieder Alltag zurückgekehrt. Ein wenig zumindest. Viele Geschäfte hat wieder geöffnet, und auf den Straßen bildet sich manchmal sogar eine Autokolonne – freilich kein Vergleich zu den Staus, die es hier früher einmal gegeben hat. Auch ein paar Lokale haben die Holzplanken vor den Fenstern wieder abmontiert, die Scheiben geputzt und warten auf Gäste. So auch die "Jusowskaja Piwowarnija", ein beliebtes Lokal der jungen, aufstrebenden Donezker mit eigener Brauerei, benannt nach dem Gründer der Stadt, dem walisischen Industriellen John Hughes. Er investierte in den 1870er Jahren auf Einladung der russischen Zarenhauses wie viele andere Ausländer in die rohstoffreiche Region und baute die Metallindustrie auf. Nur ein Schild am Eingang des modernen Bierlokals erinnert daran, dass sich Donezk im Schaukelzustand zwischen Krieg und Frieden befindet, Ausgang unklar: „Wir bitten die Waffen im speziell dafür eingerichteten Zimmer abzugeben."
Mit der Kalaschnikow im Café
Bewaffnete Kämpfer sind in den Bars und Restaurants der Stadt zu einem alltäglichen Anblick geworden. In einem Café sitzen einige bärtige Männer zusammen, ihrem Äußeren nach offensichtlich keine Ukrainer oder Russen. „Kaukasier“ flüstern die Gäste, ein gleichermaßen treffender wie unbestimmter Sammelbegriff für die Männer aus Ossetien und Tschetschenien, die auf Seiten der Donezker Volksrepublik kämpfen. Berichte über ein Trainingslager am Rande von Donezk machten in den vergangenen Tagen die Runde, 300 Kämpfer des „Todes“-Bataillons werden hier nach Berichten der Nachrichtenagentur Reuters ausgebildet. Es sollen ehemalige Angehörige tschetschenischer Spezialkräfte sein. Die kaukasischen Kämpfer seien eine zwiespältige Sache für die Führung der Donezker Volksrepublik, erzählt ein lokaler Journalist. Einerseits erfahrene Kämpfer, andererseits schwer kontrollierbar. „So leicht wird man sie nicht mehr los.“
Vor allem in Zeiten des Waffenstillstands bleiben sie ohne Aufgabe. Am Sonntag vermeldete die ukrainische Armee, dass ukrainische Stellungen 14 Mal beschossen worden seien. In der Nähe von Mariupol wurde eine Drohne gesichtet. Die Flughäfen in Dnepropetrowsk, Charkiw und Saporischija konnten am Sonntag nicht mehr angeflogen werden. In Donezk blieb es in der Nacht auf Sonntag bis auf zwei Detonationen ruhig. Eine vergleichsweise positive Bilanz angesichts der ständigen Gefechte in den vergangenen Wochen. „Natürlich freuen sich die Bewohner, dass es keinen Beschuss gibt“, sagt der Lokaljournalist. „Gleichzeitig stimmt uns die Ruhe unruhig. Man fragt sich, ob nicht etwas Schlimmeres kommt, etwas Größeres in Vorbereitung ist.“ Fatalismus hilft, den Alltag zu bewältigen. Dass sich die Lage stabilisieren könnte, dass gar eine Lösung des Konflikts gefunden wird, mag hier allerdings derzeit kaum jemand glauben.
(red.)