Satire: Pro und Kontra

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Darf Satire wirklich alles? Und muss man grundsätzlich jede Form von Satire verteidigen?

PRO - Farbe bekennen für die Freiheit

Bei der Solidarität für „Charlie Hebdo“ geht es um viel mehr als nur um Karikaturen. Es geht um hart erkämpfte Grundwerte.

Von Norbert Mayer

Hoffentlich sind möglichst viele von uns jetzt „Charlie“. Überall auf der Welt. Manchmal ist es zwingend, Mainstream zu sein. Denn wer mit dem Slogan „Je suis Charlie“ seine Solidarität mit den Opfern des Terroranschlags von Paris am Mittwoch bekundet, der verteidigt damit vor allem eines: die Meinungsfreiheit. Sie muss so unantastbar bleiben wie die Würde des Menschen. (Im Konfliktfall sind eben Gerichte da.) Wer bei dieser Freiheit auch nur eine Winzigkeit nachgibt, der gefährdet, ganz pathetisch gesagt, Werte wie Aufklärung und Demokratie, um die auf unserem großartigen Kontinent jahrhundertelang gerungen wurde.

Ob die Cartoons von „Charlie Hebdo“ gut oder schlecht, bösartig oder treffend sind, ist in dieser Situation unerheblich. Ginge es nach den Mördern, die beim Sturm auf die Redaktion in Paris ein Dutzend Menschen erschossen haben, dürfte man darüber nicht einmal diskutieren. Für sie hat ihr Prophet Mohammed offenbar immer recht, aber ihre Taten bestätigen, was ihnen die Karikaturisten überzeichnet vorwerfen: Inhumanität. Auch wer „Charlie Hebdo“ als Hetzblatt einschätzt, sollte für seine Freiheit Farbe bekennen. Eine Biografin Voltaires hat vor hundert Jahren diesem Propheten der Vernunft Folgendes in den Mund gelegt: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“

Darf man zum Beispiel behaupten, die gewaltsame Verbreitung des Glaubens stehe im Widerspruch zum Wesen Gottes? Papst Benedikt XVI. hat diese Ansicht 2006 in einer Rede zitiert. Islamisten nannten ihn daraufhin einen Hassprediger und bestätigten dadurch, dass er sie gut getroffen hatte. Auch Päpste können Charlie sein.

KONTRA - Non, je ne suis pas Charlie

Man muss als Journalist nicht reflexhaft und rituell Solidarität zeigen mit Kollegen, deren Arbeit man nicht schätzt.

Von Jürgen Langenbach

Was in Paris geschehen ist, nein, angerichtet wurde, ist eine Teufelei: zwölffacher Mord mit absehbarer Gewaltspirale im Gefolge. Moslems in Frankreich werden es zu spüren bekommen, manche werden mit Radikalisierung reagieren und so weiter, der Plan geht auf.
Man muss ihn durchkreuzen, so gut man kann, aber muss man auch die rituellen und reflexhaften Solidaritätsgesten zeigen – mit der betroffenen Redaktion im Besonderen, mit der Pressefreiheit im Allgemeinen –, die sich seit Jahren aufdrängen, wenn es um Moslemkarikaturen geht, erst bei denen in Dänemark, nun bei denen in Frankreich? Das hängt schon sehr an den Karikaturen.

Ein Rabbi sagte unlängst auf die Frage, ob man Judenwitze erzählen dürfe: „Ja, wenn sie gut sind.“ Das gilt auch für die Karikatur, die muss hinhauen und treffen und im Idealfall den kritisierten Sachverhalt oder die kritisierte Person im Gelächter untergehen lassen. Daumier hat es vorgeführt, indem er etwa Winkeladvokaten oder korrupte Abgeordnete zu Papier brachte, jede fein ziselierte Nase offenbarte den Charakter. Oder jeder Fettbauch, auch der des Königs, der das ganze Land verzehrt.

Sechs Monate saß Daumier dafür, die Pressefreiheit war noch nicht erkämpft. Sie ist es, und kein Millimeter ist preiszugeben. Aber deshalb muss man sich nicht solidarisch zeigen mit Kollegen, deren Arbeit man gar nicht schätzt: Viele Karikaturen in „Charlie Hebdo“ sind einfach erbärmlich (und) schlecht, sie erinnern weniger an Daumier und mehr an den „Stürmer“, unförmige Nasen stehen nun eben für Araber. Derartiges trägt zur Aufklärung nichts bei, es verdummt, und das ist der Selbstmord bzw. die Todsünde der Karikatur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2015)

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