Die Geschichte der religiösen Karikatur

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Europas Religionskriege brachten die religiöse Karikatur auf, später blühte sie ganz besonders in Paris. Dem islamischen Raum war sie lange fremd, heute grassiert dort die Judenkarikatur – inspiriert von westlicher Tradition.

Ein blinder alter Mann rastet aus. In Serie ermordet er Mönche. Als seine Taten enttarnt zu werden drohen, isst er die von ihm vergifteten Seiten des antiken Werkes „Über das Komische“, ehe die Bibliothek mit ihm in Flammen aufgeht.

Der alte Mönch heißt Jorge von Burgos und ist der Antiheld in Umberto Ecos Debütroman „Der Name der Rose“ (1980). Der Held des Romans, der Franziskaner William von Baskerville, ist auf der Suche nach diesem Buch des Aristoteles über das Lachen, dem zweiten Teil der Poetik. In Wirklichkeit ist dieser Abschnitt verschollen, in Ecos Fiktion findet William das einzige Exemplar.

Im großen Showdown erklärt ihm der greise Jorge, warum dieses Buch ungelesen bleiben soll: Wenn die Menschen befreit lachen, wenn sie sich dieser Anarchie des Komischen hingeben, dann sei es bald aus mit der Ehrfurcht, mit der Autorität, mit dem Glauben. Jorge leidet darunter, dass Aristoteles in seinen Schriften das Lachen positiv bewertet. Für ihn bedeutet das Christentum auf Erden vor allem Schmerz: „Unser Herr Jesus hat weder Komödien noch Fabeln erzählt, ausschließlich klare Gleichnisse, die uns allegorisch lehren, wie wir ins Paradies gelangen, und so soll es bleiben.“

Mohammed konnte lachen

Für Aristoteles war Tugend eine Sache des rechten Maßes. Die Fähigkeit zu lachen aber sah er als wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Mensch. So stand er in seiner Haltung zum Lachen Jesus, aber auch Mohammed wohl näher als Ecos fanatischer Mönch Jorge. Religionen vertragen das Lachen, in maßvoller Dosierung und solang sie nicht an das Heilige rühren. „Wenn ihr wüsstet, was ich weiß, würdet ihr wenig lachen und viel weinen“, sagt Mohammed zwar in einem Hadith. Aber Traurigkeit predigte er nicht. Mohammed konnte so stark lachen, dass man seine Schneidezähne sah, heißt es. Allerdings mit einer großen Einschränkung: Lachen auf jemandes Kosten ist im Koran und den Hadithen ganz klar eine Sünde.

Verdächtig ist dort allerdings auch das starke, grelle, das übermäßige Lachen an sich. „Lache nicht zu viel, denn übertriebenes Gelächter tötet das Herz“, heißt es beim mittelalterlichen Hadith-Gelehrten Ibn Majah. Darin liegt sehr wohl eine gewisse Nähe zum düsteren Benediktiner bei Eco. Starkes Lachen kann den nötigen heiligen Ernst der Seele zerstören, ist das spirituelle Argument.

Zugleich hat das starke Lachen für jede Macht, sei sie religiös oder politisch, etwas gefährlich Anarchisches. Diese Einstellung hallt noch in der Äußerung des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdoğan wider, dass Frauen in der Öffentlichkeit nicht zu laut lachen sollten. Neue muslimische Ratgeber wie das Buch „Having Fun the Halal Way“ (von Ismail Kamdar) argumentieren sogar medizinisch: Starkes Gelächter könne körperlich krank machen, sei Ausdruck einer kranken Psyche. In diesem Buch steht aber auch klar: „Die schlimmste Sorte von Witzen ist die über Allah, seinen Boten oder alles, was zum Islam gehört.“ Auch Praktiken des Islam, etwa die Verschleierung von Frauen, zu verspotten, sei eine „extrem unakzeptable Sünde“. Eine scharfe Einschränkung trifft auch eine im Internet (www.islamfatwa.de) aufrufbare Sammlung islamischer Rechtsurteile (Fatwas). Auf die Frage „Ist Humor erlaubt?“ findet man die Antwort: „Solange man ehrlich ist, also keine Lügen in seinen Humor mit einbaut, und auch nicht ins Extreme geht.“ Der Autor dieser Fatwa berief sich auf einen Hadith: „Wehe demjenigen, der lügt, nur um andere zum Lachen zu bringen.“ Das trifft alle Karikaturen, die ja naturgemäß keine Darstellung der „Wahrheit“ sind ...

„Exzellente Waffe im Kampf“

Wie hielt und hält es der Islam mit dem Spott? Gewalt gegen die „Ungläubigen“ durchzieht seine Geschichte, der Spott als extrem sublimierte Form der Gewalt nicht. Die Karikatur als Propagandamittel haben islamische Länder erst spät aus Europa übernommen. Jetzt wird sie dort ebenfalls ungehemmt angewandt. „Cartoons und Karikaturen sind eine exzellente Waffe im Kampf gegen den jüdischen Chauvinismus und seine Propaganda“, verkündet etwa die Internetseite radioislam.org und lädt ihre Nutzer ein, derlei Zeichnungen auf die Seite zu stellen und zu verbreiten. In Kairo und Bagdad, Teheran und Damaskus, überall erscheinen Karikaturen, die vor allem – mithilfe vom Westen gelernter antisemitischer Bildsprache – Juden und Judentum verächtlich machen.

Geboren wurde diese Tradition des religiösen Spotts in Europa. Von Anfang an war die Karikatur dort mit Religionskrieg und mit Propaganda verbunden. Zur Zeit der Reformation spielten satirische Zerrbilder dank des Buchdrucks erstmals eine große Rolle. Protestanten setzten sie ebenso ein wie Katholiken. Aber die Verspottung des Heiligen an sich in Karikaturen kam in der Aufklärung auf und blühte vor allem seit dem 19. Jahrhundert. Naturgemäß richtete sie sich damals fast ausschließlich gegen christliche Religionen.

Eine nackte Frau am Kreuz

Vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Frankreich 114 (!) antiklerikale Karikaturenzeitschriften. „Charlie Hebdo“ steht in dieser Tradition. Paris war Ende des 19. Jahrhunderts Hauptstadt der religiösen (resp. antireligiösen) Karikatur, von hier aus strahlte das Genre nach Europa aus. Ein Wendepunkt war 1870 die Neuinterpretation der Versuchung des heiligen Antonius durch den Maler Félicien Rops: Eine nackte Frau hängt statt Jesus am Kreuz, um Antonius zu verführen. Dieses Bild inspirierte französische Zeichner zu einer Flut blasphemischer, despektierlicher Kreuzbilder – die Zeichner waren ganz und gar nicht weniger zimperlich als heute.

Wie resistent können also Götter gegen Spott sein? Glückliche Griechen! In ihrer besten Zeit, vor gut 2400 Jahren, waren im attischen Drama selbst die mächtigsten Bewohner des Olymp nicht sicher vor Spott. Aristophanes lässt sie in der Komödie „Die Vögel“ keine gute Figur machen. Er zeigt sie als Hungerleider. Gemeint waren in solchen Stücken zwar noble Athener, aber beim Aufdecken ihrer Schwächen gab es weder vor Menschen noch Göttern Tabus. Das war der Stoff, aus dem Aristoteles wohl sein Buch übers Lachen abgeleitet hätte. Die Blütezeit dieser Komödie währte kurz. Sie funktionierte am besten, als in Athen Redefreiheit galt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2015)

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