Kreuzfahrt: Alte Schiffe, junge Gäste

(c) Oliver Schmidt
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Der Charme alter Kreuzfahrtschiffe kann der modernen Reise-Industrie Paroli bieten.

Bei guter Pflege kann unsere Dame spielend fünfzig werden“, sagt Alexander Gessl aus Linz, Geschäftsführer von FTI Cruises, und meint damit die Grand Lady MS Berlin. Sie ist das einzige Schiff seiner Flotte und heute eher eine kleine Schiffslady. Tatsächlich ist ein Gutteil der deutschsprachigen Kreuzfahrtschiffe schon älter als die Jung-Unternehmer, IT-Manager und Eltern mit ihren Kindern, die an Bord die Welt entdecken und dem Landstress Ade sagen. Nehmen wir die Albatros: Seit zehn Jahren fährt sie für Phoenix-Reisen, feiert aber dieses Jahr ihren 42. Geburtstag. Mit Frischzellenkuren in der Werft hält sie sich fit. Dazu gehört nicht nur, dass mit einer komplett neuen Maschinenanlage die Technik auf Energieeinsparung ausgerichtet ist, sondern auch, dass die Showprogramme professioneller werden, eine Pizzabäckerei an Deck junges Publikum zufriedenstellt und der „Dorfplatz“ auf dem Sonnendeck ein Putting Green umfasst. Individuelle Routen sind neben der Gemütlichkeit eines kleineren Schiffes der häufigste Buchungsgrund. Zum Beispiel zu Pfingsten. Da ankert der Schiffs-Oldie vor Chios, Inousses und Limnos – griechischen Inseln, von denen die meisten Reisenden noch nie etwas gehört haben. Im Spätsommer versammelt er alle flugunlustigen Kreuzfahrer zu einer 44-tägigen Reise zum Indian Summer nach Kanada.

Individualität – damit schaffen es Kreuzfahrtschiffe, die oft nur ein Drittel oder gar ein Zehntel der Größe moderner Mega-Liner haben, auf dem Markt zu bestehen. Ohne Wasserrutsche und Riesen-Casino. Dafür aber mit dem Lieblingsgericht des Passagiers, mit frischen Blumen in der Kabine, einem Essen am Offizierstisch oder einem Besuch auf der Brücke, den es offiziell gar nicht mehr gibt. Auf der Berlin wirbelt Ausflugsmanagerin Birgitta Hoffmann durch ihr winziges Büro – nicht nur, um große Ausflugsbusse zu buchen, sondern auch, um dem Passagier individuelle Abfahrtszeiten für lokale Boote herauszusuchen. Ihre Chefin ist eine Österreicherin: Romana Calvetti, Kreuzfahrtdirektorin und im ersten Beruf Opernsängerin. Wer sich allerdings eine Diva mit dröger Klassik vorstellt, liegt bei Romana falsch. Augenzwinkernd zieht sie die Klassiker durch den Kakao, gibt dem Programm genau den Touch von Stallgeruch, den das österreichische Publikum sich wünscht, und fragt unschuldig, ob es wohl vielleicht besser war, dass sie der Oper untreu geworden sei. Nein, war es nicht, manches Klassikprogramm an Land könnte den „Romana-Faktor“ gut vertragen.

Benjamina. Die Astor ist mit 28 Jahren das jüngste Schiff unter den Veteranen. Sie hat den umgekehrten Weg beschritten. Zwar gehört das Schiff der Global Maritime Group, ist aber im Charter der britischen Cruise & Maritime Voyages internationaler geworden. Das in Piräus zusammengestellte, 19-köpfige Unterhaltungsensemble übertrifft jedes andere Schiff dieser Größe. Im Sommer fährt die Astor unter dem Traditionslabel von Trans-Ocean Kreuzfahrten mit deutschsprachigem Publikum, im Winter wird sie englischsprachig und kreuzt vor Australien. Beliebt sind die Positionierungsfahrten – lange Reisen im Spätherbst oder Frühjahr, die eine Passage des Kaps der Guten Hoffnung oder des Suezkanals in eine halbe Weltreise einbetten.

Solche individuellen Schiffe ohne baugleiche Schwestern, die zudem auf jeder Reise eine andere Route befahren, brauchen ein sensibles Management. Wer davon einen Eindruck bekommen will, schaut Julia Dieckhöner über die Schulter. Die 29-jährige Bremerhavenerin hat zuerst die Astor gemanagt, jetzt ist sie für die Berlin zuständig. Damit ist ihr schwimmender Schützling fünf Jahre älter als sie – die blonde Jeansträgerin ist der Garant für das junge Herz des Schiffes. Vorbei die Zeit, als einfach Anordnungen von Land an Bord geschickt wurden. Die Lautsprecher auf ihrem Schreibtisch sind Julias wichtigstes Instrument: Sie sitzt in Bremen, die Kreuzfahrtdirektorin urlaubt gerade in Wien, das Schiff ist in Piräus – dennoch darf die tägliche Telefonkonferenz nicht fehlen. Damit nicht genug: Wenn Kapitän oder Kreuzfahrtdirektorin Urlaub haben, verordnet ihnen die junge Chefin eine Bürowoche in Bremen. Nur, wer die Probleme der Landseite kennt, kann darauf reagieren. Umgekehrt verbringt Julia Dieckhöner viele Wochen an Bord, sammelt Passagierwünsche, schaut nach, wo etwas nicht rund läuft. Und bereitet heimlich den nächsten Werftaufenthalt vor. Beim letzten machte der winzige Innenpool einem modernen Fitness-Center Platz. „So kleine Planschbecken unter Deck nutzt man heute kaum noch“, weiß Alexander Gessl, der seine Arbeitszeit zwischen Linz und München aufteilt. Warum die Idee der Münchner FTI, ihre Passagiere mit einem bayerischen Biergarten an Deck zu beschenken, keinen Anklang fand, das wissen die (Meeres-)Götter. Abhilfe wusste Julia Dieckhöner: In der neuen Berlin-Lounge trifft man sich in lauschig-loungigen Sitzecken und bedient sich an der Cocktailbar. Und das Deck ist voll.

Durch den Kanal von Korinth. Um den Pool auf dem Achterdeck, wo früher Sonnenliegen standen, gruppieren sich heute solide Holztische zu einem Open-Air-Restaurant. Der Teutonen-Grill aus den Achtzigern ist nicht mehr in, man sitzt lieber unterm Sonnenschirm und futtert frischen Fisch, Salat oder auch einmal einen Hamburger mit Pommes. Deshalb hört man auf der Berlin den Vergleich mit dem einstigen Traumschiff des ZDF, das sie von 1986 bis 1998 war, nicht gar so gern. Nicht nur, dass man falschen Erwartungen an endlose Diners, Abendunterhaltung auf Plüschsofas und Butler in weißen Handschuhen vorbeugen will. Die Berlin ist auch mit der Zeit gegangen. Sie hat sich ans neue Kreuzfahrt-Publikum angepasst und ist ein gemütliches, zwangloses Ferienschiff geworden. Damit passt sie gut in das Programm von FTI, das die Kreuzfahrt gern mit konzerneigenen Flug- und Hotelkontingenten verbindet. Die Berlin gehört ins Mittelmeer. Hier kann sie Punkte sammeln. Ihr schlanker Körper ist einer der letzten, die noch den spektakulären Kanal von Korinth passieren können. Die Ägäis, Albanien, Lipari und die Amalfi-Küste sind ihre Stärken. Mediterranes Flair gehört zur Berlin wie ihre fröhliche Crew, der Kapitän an erster Stelle. Deutsch spricht er nicht, aber das Charisma des hochgewachsenen, weißhaarigen Gentleman reicht völlig aus, um mit seinen täglichen Bordrundgängen ein vertrautes Big-Daddy-Gefühl zu zaubern.

Vor 30 Jahren warb die Astor mit dem Slogan „Eine Klasse für sich“. Der trifft heute auf ihre Altersgenossinen ganz genauso zu. Wer diesen Stil zwischen Tradition und Moderne, zwischen biederer Kreuzfahrt und Weltentdeckertum erlebt hat, will ihn mehr missen. Den Kreis quadrieren muss dabei nur einer: der Katalogtexter. Mit zwei Fotos und einer Info-Spalte lässt sich der urige Mix aus freundlichen Menschen, exotischen Zielen, Genuss und der Nähe zum Meer kaum beschreiben.

Tipps

MS Berlin: Das Schiff ist bis 8. 2. auf Sieben-Tage-Kreuzfahrten im Roten Meer unterwegs. Danach geht’s ins Mittelmeer, im Juli in den Norden (Island, Norwegen), im Herbst wieder ins Mittelmeer. www.ms-berlin.info/kreuzfahrten

MS Astor: Nordeuropa-Routen ab Mai (Flusspassagen), Nordseeinseln, Großbritannien, Norwegen, Island bis Oktober.


FTI Touristik
, Ferienmesse-Stand A0621, www. fti.at

Ruefa/Kreuzfahrten, Ferienmesse-Stand A0101, ruefa.at

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