Reedereien: Internationaler statt größer

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Nicht nur den nationalen Quellmarkt zu bedienen, das ist bei den Reedereien der Trend 2015.

„Der Markt hat sich bereinigt.“ So pragmatisch sehen Zahlenmenschen das Ausscheiden von dreieinhalb Schiffen aus der gar nicht so kleinen, exklusiv deutschsprachigen Kreuzfahrtflotte. Dreieinhalb? Ja, denn die Astor kehrt allen Unkenrufen zum Trotz jeden Sommer verlässlich zurück, muss aber im Winter im fernen Australien ihr Geld verdienen. Entschwunden sind innerhalb weniger Tage die Azores, die Delphin und das Fernseh-Traumschiff MS Deutschland, lauter Klassiker mit rund 400 bis 500 Passagieren, individuellen Routen und damit echte Publikumslieblinge. Gleichzeitig wandern Passagiere zu anderen, ebenfalls kleinen Schiffen ab. Die Berlin etwa, mit Alexander Gessl aus Linz als Geschäftsführer von FTI Cruises und Romana Calvetti als Kreuzfahrt-Direktorin fest in österreichischer Hand, überrascht mit einer spontan aufgelegten Wintersaison im Roten Meer.

Neben dem Gigantenwachstum dürfte das Kreuzfahrt-Ereignis des Jahres 2015 im Frühjahr stattfinden, wenn der elsässische Platzhirsch auf dem Flussreisenmarkt, Croisi-Europe, erstmals ein Schiff für Reisen auf der Loire vorstellt. Dem Flachwasser von teils nur 60 Zentimetern Tiefe war nur mit dem Bau eines echten Schaufelraddampfers beizukommen. Der ist nun fertig. Kein neues Schiff, aber ein neues Fahrtgebiet steuert etwa zeitgleich das Innsbrucker Unternehmen Lüftner Cruises an, wenn es sein Glück im Garten von Claude Monet sucht und zwischen Paris und der Atlantikküste erstmals auf der Seine kreuzt.

Wer glaubt, das Feld gehöre bald nur noch den Großen, der irrt. Eng wird für viele nationale Anbieter nur das bisherige Konzept, nur das eigene Land als Quellmarkt zu betrachten. Auch kleinere Unternehmen müssen heute international agieren, um ihre Kapazitäten stets dort einzusetzen, wo sie gerade am lukrativsten auszuschöpfen sind. So kommt die britische Cruise and Maritime Voyages (CMV) mit der eigens gekauften Traditionsmarke Transocean in den deutschsprachigen Markt; die russische Poseidon Expeditions hat mit Dagmar Bünning einen der fähigsten Köpfe von Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten übernommen, um ihr Glück auf dem DACH-Markt – Deutschland, Österreich, Schweiz – zu suchen. Überhaupt kommt manch neue Note durch Personalentscheidungen in die Kreuzfahrt. Zum Beispiel bei TUI Cruises. Die Fähigkeit, dem Volk aufs Maul, auf die Finger und auf die Glücksrezeptoren zu schauen, waren die Stärken des charismatischen, oft leicht arroganten Chefs von TUI Cruises, Richard Vogel. Nun soll das auf dem Markt bestens eingeführte Produkt unter der Hand seiner Nachfolgerin, Wybcke Meier, spätestens mit Mein Schiff 7 und 8 ebenfalls in die Internationalität segeln.

Bei Royal Caribbean, das die deutschsprachigen Märkte von Frankfurt aus beackert, hat die richtige Mischung aus Charme und einer starken Persönlichkeit immer gefehlt, um den Marken Royal Caribbean und Celebrity Cruises auf dem Kontinent ein Gesicht zu geben. Jörg Rudolph war bislang dafür zuständig, bei der Fährreederei Color Line in Kiel norwegische und deutsche Interessen unter einen Hut zu bringen. Wird ihm das auch mit seinen neuen amerikanischen Brötchengebern gelingen, für die er in Frankfurt die zweitgrößte Reederei der Welt vertritt? Vom Mutterkonzern nicht geliebt, könnten die beiden Schiffe der Tochtergesellschaft Azamara Club Cruises (je 700 Betten) der Deutschen größter Liebling werden – die Azamara Quest war es sogar schon einmal, als sie von 2003 bis 2006 als Delphin Renaissance in deutschsprachigen Märkten kreuzte.

Zuwachs bei NCL. In Wiesbaden, wo die Vertretung von Norwegian Cruise Line ohne Geschäftsführer auskommen muss, hat die Flotte gerade gewaltigen Zuwachs bekommen: Mit der Übernahme von Regent Seven Seas und Oceania Cruises zeigt NCL, dass einem die Massenmarktverweigerer nicht mehr egal sind und zieht mit den Frankfurtern gleich, obschon die US-Konzernzen­tralen freilich keine einzige Entscheidung mit Blick auf Europa fällen.

Das ist bei Costa anders. Dass der Fokus neben Italien klar auf den Nachbarn liegt, zeigt schon die Mehrsprachigkeit an Bord, die Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch umfasst. Den Trend, neben den Riesendampfern auch den Klein-aber-fein-Markt zu bedienen, setzt Costa im eigenen Haus um. Man nutzt ohnehin fällige Renovierungen, um den kleinen, älteren Schiffen der Flotte ein völlig neues Gesicht und eine Eleganz zu geben, wie sie nur italienischen Designern einfallen kann. Costa Neo-Collection heißt das gegenwärtige Flottentrio. Mit dieser Entwicklung hat ein Zauberwort auch die Granden der Branche erreicht: Slow Cruising. Weder im Fahrplan noch im Tagesprogramm müssen Rekorde gebrochen werden, so das neue Konzept. Die beste Riviera-Route aller Zeiten (Nizza – Cannes – St. Tropez – Monte Carlo – Genua – San Remo – Portofino), vorgemacht schon vor fast zehn Jahren ausgerechnet vom damaligen Billigschiff Easy Cruise, hat zwar bisher keiner kopiert. Aber die Global Player schicken sich an, all jenen Kreuzfahrern Ersatz zu bieten, die mit dem Dahinscheiden der mittelständischen Anbieter heimatlos geworden sind.

Volle Fahrt voraus. Doch sind die Stunden der beliebten Klassiker wirklich gezählt? Die Zahl war schon einmal beträchtlich gesunken, doch neue Investoren und Konzepte à la FTI Cruises brachten wieder frischen Schwung. So hat, kaum von der Öffentlichkeit bemerkt, Nicholas Tragakes, genialer Grieche aus Piräus, der sich hinter dem Wortungetüm Global Maritime Group versteckt, die Astor gekauft. Die Marco Polo, die im Sommer 2015 ihren 50. Geburtstag feiert, hatte er schon. Nun kann er mit seiner Marke Cruise & Maritime Voyages das, was die deutschen Veranstalter allein nicht leisten konnten: Kapazitäten zwischen internationalen Märkten verschieben. Wenn er damit auch die Rentabilität wiederherstellen kann, könnte das zu den Erfolgsgeschichten des Jahres 2015 gehören.

Tipp

Neue Schiffe 2015. Sieben neue Ozeanriesen und Luxusliner gehen in diesem Jahr auf Jungfernfahrt: bei Royal Caribbean die Anthem of the Seas, bei P&O Cruises die MS Britannia, von TUI Cruises Mein Schiff 4, bei Aida das Clubschiff Aidaprima, bei NCL die Norwegian Escape, bei der Compagnie du Ponant Le Lyrial und bei Viking schließlich die Viking Start.

Costa Kreuzfahrten
Kraußstraße 10/2, 4020 Linz, +0732/239 239
Ferienmesse-Stand A0420. Der Autor war zur Taufe der Costa Diadema eingeladen worden. www. costakreuzfahrten.at

Ruefa/Kreuzfahrten
Lassallestraße 3, 1020 Wien, 01/588 00-0, Ferienmesse-Stand A0101, www.ruefa.at

Hapag Llloyd, Ballindamm 25, 20095 Hamburg, Ballindamm 25, +49/40/3070 3070, www.hlkf.de

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