Von der Beziehung zu den Eltern der Eltern

Oma und Enkelkind / Grandmother and Grandchild
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Ersatzeltern, Freunde oder Fremde – das Verhältniszu den Großeltern hat viele Facetten.

Vanessa Wiesers Großmutter lebt nicht mehr und ist dennoch ganz in ihrer Nähe. Die Urnen der Großeltern, eigentlich Linzer, hat sie nach deren Tod nach Wien bringen lassen, wo sie nun auf dem Hernalser Friedhof ruhen. Das war der Wunsch von Wieser, Chefin des Wiener Milena Verlags, denn ihre Großeltern waren ihre Ersatzeltern. Zur Großmutter sagte sie „Mama“, „ich liebte sie wie eine Mutter, hielt ganz zu ihr, was klar ist, denn sie war meine Bezugsperson“. Das Verhältnis zum Großvater war nicht ganz so gut, für das „Papa“ hat es nicht gereicht. Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr lebte Wieser bei ihren Großeltern, während ihre alleinstehende Mutter Geld verdiente. Das zumindest war die offizielle Begründung. Rückblickend glaubt Wieser, dass ihre Mutter „einfach keine rechte Freude hatte, ein Kind, noch dazu eine Tochter, zu bekommen“.

Die Großeltern als Ersatzeltern – das ist gar keine seltene Familienkonstellation, wenn auch eine, die heute weniger oft vorkommt als früher. Aber auch wer nicht bei Oma und Opa aufwuchs, kann etwas über das Verhältnis zu den Eltern seiner Eltern erzählen. Schließlich hat sie (fast) jeder, ein bis vier Großelternteile und in Patchworkfamilien mitunter sechs oder acht. Dabei ist die Beziehungspalette breit: von kein oder sehr wenig Kontakt bis zu regelmäßigem oder täglichem Kontakt. Oft sind es die Omas, die gerade bei der Erziehung von Kleinkindern mithelfen. Eine deutsche Studie von Ingrid Herlyn aus dem Jahr 1998 zeigte, dass ein Fünftel der Großmütter täglich, ein Viertel mehrmals wöchentlich und ein weiteres Drittel mehrmals monatlich Kontakt mit den Enkeln hatte; nur drei Prozent hatten gar keinen Kontakt mit der übernächsten Generation.

Intensivere Bindung

Wenn die Beziehung gut ist, kann sie ein Stabilitätsfaktor für das eigene Leben sein. Nicht selten sind Großeltern und Enkel einander viel milder und offener gestimmt als es Eltern und Kinder sind. Heute lassen sich zwei Entwicklungen ausmachen: Die steigende Lebenserwartung und das steigende Alter bei der Geburt des ersten Kindes ermöglicht vielen Großeltern eine intensivere Bindung zu ihren Enkeln. Wenn die eigenen Kinder später Kinder bekommen, sind Großeltern meist schon in Pension und haben daher mehr Zeit für die Nachkommen ihrer Kinder. Oder die Großeltern wollen bei den Enkeln nachholen, was sie – etwa dank intensiver Berufstätigkeit – bei den eigenen Kindern versäumt haben.

Bilderbuch-Oma

So ähnlich war das auch bei Denis Uranus und ihrer jüngeren Schwester. Die beiden Mitt-/Endzwanzigerinnen aus Graz haben einen großen Teil ihrer Kindheit bei ihrer Oma verbracht, da ihre Mutter mitten in der Turnusausbildung steckte. Es klingt wie eine Bilderbuchgeschichte, wenn Uranus von ihrer Oma erzählt: „Wir haben sie nicht nur besucht, sondern mit ihr und bei ihr, oft nach der Schule oder in den Ferien, gelebt. „Sie hat uns beigebracht, wie man näht, strickt, häkelt und kocht.“ Die Oma als Freundin und Ratgeberin, die nicht streng ist, weil die Erziehungsarbeit doch die Eltern übernehmen, kommt schon sehr nah an das seit dem 18. Jahrhundert geltende Idealbild der Großeltern.

Studien prophezeien aber, dass sinkende Geburtenraten gepaart mit der steigenden Lebenserwartung auch dazu führen werden, dass sich immer mehr Großeltern um immer weniger Enkelkinder kümmern. Und aufgrund der zunehmenden Mobilität der Menschen haben Großeltern mitunter gar nicht mehr denselben Wohnort wie ihre Kinder und Enkel.

Bei Susi Fischer (geänderter Name, Name der Redaktion bekannt, Anm.) war das noch anders. Die PR-Beraterin mit einer Wiener Agentur wuchs in Oberösterreich mit ihren Eltern und den väterlichen Großeltern auf dem Bauernhof auf, und ihre Geschichte zeigt, dass das nicht automatisch zu einem engen gesunden Verhältnis zwischen den Generationen führen muss. „Meine Großmutter habe ich als sehr böse empfunden, irgendwann haben wir aufgehört, zu sprechen, obwohl wir am selben Hof gelebt haben.“ Der Großvater war Bürgermeister im Ort, die Großmutter thronte als Gutsherrin und opponierte vor allem gegen die jungen weiblichen Familienmitglieder, also ihre eigene Tochter und die Schwiegertochter. Erst Jahre später, als Fischer selbst zweifache Mutter war, ihre Großmutter schon pflegebedürftig, schickte sie ihr eine Karte mit Fotos der Urenkel. Die Pflegerin der alten Dame rief Fischer daraufhin an und erzählte ihr, dass diese zum ersten Mal geweint habe. Kurz vor ihrem Tod haben sich Enkeltochter und Großmutter ausgesöhnt. Fischer hat das schwierige Verhältnis zu ihrer Großmutter gelehrt, dass man trotz Sehnsucht nach Harmonie „nicht alle in der eigenen Familie mögen und sich nicht mit allen verstehen muss“. Auch glaubt sie, dass „die Eltern der Eltern automatisch mit dem jeweiligen Elternteil assoziiert werden. Ist das Verhältnis zu einem Großvater oder einer Großmutter zerrüttet, muss man sich anstrengen, diese Themen mental vom eigenen Vater oder der eigenen Mutter zu trennen“.

Zukunft und Vergangenheit

Während Enkelkinder für Großeltern eine Art Fenster in die Zukunft bedeuten, sind die Alten für die Jungen umgekehrt ein Anker in die Vergangenheit. Schade also, wenn die Generationen einander nicht zuhören. In Vanessa Wiesers Familie etwa wurde wenig geredet, über den Krieg gar nicht, „Tabuthemen gab es viele“. Das führte zu einer komischen Verwechslung. Wiesers Opa hatte eine kreisrunde Narbe auf dem Rücken, als Volksschülerin glaubte die Enkeltochter, diese käme von einer Schussverletzung im Krieg. „Erst Jahre später fragte ich ihn, von welcher Front das stamme – die Antwort war: von keiner. Es war nur ein Talgknoten, der herausgeschnitten werden musste.“

Susi Fischer kennt aus ihrem Bekanntenkreis vor allem oberflächliche Großeltern-Enkel-Beziehungen, eine echte Erzählkultur sieht sie selten. „Wir müssen uns den eigenen Großeltern mit unseren Vorstellungen und Meinungen schon zumuten können – und umgekehrt. Aus dem gelegentlichen Kaffee-und-Kuchen-Höflichkeitsbesuch entspringt keine spannende, verbindende Geschichte.“ Ihre Erfahrung ist, nur wenn ältere Menschen offen und neugierig sind, bleiben sie für ihre Enkel „wunderbare Begleiter für das Leben“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2015)

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