IS-Geisel? Österreicher in Libyen vermisst

LIBYA UNREST =
LIBYA UNREST =VASSIL DONEV / EPA / picturedesk
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IS-Kämpfer griffen ein Erdölfeld in Libyen an und töteten elf Menschen. Nach dem Rückzug der Jihadisten fehlt von einem Oberösterreicher und acht weiteren Ölarbeitern jede Spur.

Für die libyschen Sicherheitskräfte muss sich ein Bild des Schreckens geboten haben. Elf Wächter lagen tot im Sand des Erdölfelds al-Ghani, erschossen und einige von ihnen geköpft. Eine Gruppierung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ hatte die Förderanlage am Freitag überrannt. Wenige Stunden später gelang die Rückeroberung. Doch von den Jihadisten und neun ausländischen Ölarbeitern fehlte jede Spur. Vermisst wird auch ein 39-jähriger Oberösterreicher, der bei der Firma Vaos (Value Added Oilfield Services) angestellt ist.

Über das Schicksal von ihm und seinen acht Arbeitskollegen aus der Tschechischen Republik, den Philippinen, Bangladesch und dem Sudan konnte nur spekuliert werden. Doch es brauchte nicht viel Fantasie, um zu erahnen, was ihnen blühen könnte. Die neun Männer dürften sich in der Gewalt des IS befinden. Dass den neun ausländischen Ölarbeitern die Flucht gelungen ist, scheint nahezu unmöglich. Rund um das Erdölfeld al-Ghani ist Wüste. Eine Lösegeldforderung ging zunächst nicht ein, auch kein Bekenntnis, nichts.

Noch sind wenige Details bekannt. Doch Insider vermuteten im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“, dass es sich bei den Angreifern um eine IS-Gruppierung aus Sirte handelte, das nördlich von al-Ghani liegt. Immer wieder haben Jihadisten zuletzt Ölfelder in Libyen angegriffen. Ihr Ziel war es, die Erlösquellen entweder in Besitz zu nehmen oder zu zerstören. Längst haben große Ölkonzerne Libyen verlassen. Doch kleinere Firmen gingen weiterhin das Risiko ein, in dem unübersichtlichen Krisenland Öl zu fördern. Wer blieb, wusste, worauf er sich einließ. Das Erdölfeld al-Ghani befindet sich im Besitz einer Ölfirma namens Veba. Das Unternehmen VAOS, für das der vermisste Oberösterreicher arbeitet, wurde 1983 als diskreter Seitenarm der Voest Alpine gegründet, um Serviceleistungen für die Ölindustrie in Libyen zu erbringen. 1997 verkaufte Voest ihre Anteile an das Management von VAOS.

Hochburg des IS

Die Hafenstadt Sirte, aus der die mutmaßlichen Geiselnehmer wohl stammen, gilt als Hochburg des IS. Dort entführte die Terrormiliz knapp nach Jahreswechsel 21 koptische Gastarbeiter aus Ägypten. Ein paar Wochen später erschütterte ein Video die Welt: Darin war zu sehen, wie schwarz gekleidete IS-Schergen die koptischen Geiseln, denen guantanamo-orange Overalls übergestülpt worden waren, an einem Strand köpften.

Außenminister Sebastian Kurz richtete noch in der Nacht auf Samstag einen Krisenstab ein. Als Leiter fungiert Generalsekretär Michael Linhart. In einer ersten Reaktion entsandte er einen Sicherheitsexperten in die Vertretung auf der tunesischen Halbinsel Djerba. Von dort aus nimmt Österreich nun schon seit Monaten seine diplomatischen Aufgaben in Libyen wahr. Im Bürgerkriegsland selbst ist es zu gefährlich für Diplomaten geworden.

Die Lage in Libyen ist unübersichtlich. Der Wüstenstaat ist nach dem Sturz des Langzeitdiktators Muammar Gaddafi in ein blutiges Chaos gelitten. Seit vergangenem Jahr stehen sich zwei Regierungen mit Unterstützung rivalisierender Milizen gegenüber – die international anerkannte Regierung sitzt in Tobruk im Osten des Landes, die islamistisch beeinflusste Gegenregierung in der Hauptstadt Tripolis. Diese Ausgangslage bietet den perfekten Nährboden für die Kämpfer des Islamischen Staats, die zuletzt massiv an Einfluss gewonnen und in dem ölreichen Land eine neue Machtbasis errichtet haben. Einige Regionen und Orte sind bereits unter der Kontrolle der Dschihadisten, darunter eben die Küstenstädte Derna und Sirte. Aber auch in Tripolis, Bengasi und mehreren kleinen Städten dürften sie an Einfluss gewinnen.

Das Land diene als Versorgungs- und Ruheraum für den IS, der sich wegen der chaotischen Lage problemlos mit Waffen und Munition versorgen kann, heißt es auch in einer jüngst veröffentlichten Analyse des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Gerade diese unübersichtliche Ausgangslage aber dürfte es umso schwerer machen, die vermissten Ölarbeiter in der libyschen Wüste zu finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2015)

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