Ein Programm gegen das verzopfte Image

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Mit ihrem Entwurf für ein neues Parteiprogramm beweist die ÖVP Mut. Man wird sehen, was am Ende - nach der internen Debatte - davon übrig bleibt.

Parteiprogramme haben ein wenig den Charakter von Beschäftigungsprojekten für Funktionäre mit viel Sitzfleisch. Die dürfen so lang um Formulierungen feilschen, bis alle Ecken und Kanten abgerundet sind und alles so verwaschen formuliert ist, dass jeder sich damit identifizieren kann und die tatsächliche Relevanz des Programms gegen null geht. Ist ja auch egal: Nach dem Beschluss auf dem Parteitag wird das Papier abgelegt und vergessen.

Das neue ÖVP-Programm steht erst am Beginn dieses Prozesses. Noch kann man den Text lesen, ohne Gefahr zu laufen, dabei einzuschlafen. Und noch sind Gedanken erkennbar, mit denen sich die Volkspartei neu positionieren könnte. Genau das wäre ja auch der Sinn eines neuen Parteiprogramms. Eine Partei, die vor allem beim urbanen Publikum immer weniger ankommt, muss kritisch hinterfragen, ob sie bei ihrem Zielpublikum noch attraktiv ist. Anders formuliert: Sie muss ihr verzopftes Image loswerden.

Das wird in der Diskussion üblicherweise an zwei Fragen festgemacht: Liebe ÖVP, wie hältst du es mit den Homosexuellen und mit der Gesamtschule? Zum Thema gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften findet sich im Programmentwurf die Formulierung, diese würden einen „Beitrag zu einer stabilen und verantwortungsbewussten Gesellschaft“ leisten. Das könnte man für eine nicht weiter erwähnenswerte Banalität halten, ist es aber nicht in einer Partei, in der der frühere Obmann Michael Spindelegger noch vor wenigen Jahren gemeint hat, Brautpaaren sei der schönste Tag in ihrem Leben verdorben, wenn sie im Standesamt auf ein homosexuelles Paar treffen.

Auch beim zweiten Thema beweist der Programmentwurf durchaus Mut: Entgegen dem Mainstream, dem sich auch die Landeshauptleute der westlichen Bundesländer angeschlossen haben, gibt es ein klares Bekenntnis zum Gymnasium. Das ist machtpolitisch eine klare Positionierung von Parteichef Reinhold Mitterlehner, die ihm noch Probleme bereiten könnte, inhaltlich aber eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung: Neupositionierung heißt ja nicht, dass man die Standpunkte der politischen Mitbewerber übernehmen muss. Und die ÖVP-Klientel will das Gymnasium zweifellos nicht abschaffen, sondern empfindet die Gesamtschule als Bedrohung. Freilich: Nur auf dem Bestehenden zu beharren wird auf Dauer etwas wenig sein.

In anderen Bereichen erreicht der Programmentwurf das Ziel, neue Positionen zu definieren, die durchaus mit einem gewissen Konfliktpotenzial versehen sind. Neue Selbstbehalte im Gesundheitswesen wird nicht jeder – auch nicht jeder ÖVP-Anhänger – goutieren. Ähnliches gilt für eine Pensionsautomatik, die bei steigender Lebenserwartung ein höheres Pensionsantrittsalter oder niedrigere Pensionen bringt. Das wird den Seniorenbund – von der Mitgliederzahl eine Macht in der ÖVP – nicht unbedingt freuen. Aber ein Programm, das es jedem recht macht, ist wenig aussagekräftig.

Auch die Aussagen zur Landesverteidigung sind für die Partei mit einem gewissen Gefahrenpotenzial verbunden. Die Abkehr von der Neutralität mag zwar ein vernünftiger sicherheitspolitischer Ansatz sein, der Gedanke ist aber in der Bevölkerung nicht sonderlich populär. Viele halten nämlich die Neutralität fälschlicherweise für einen Garanten unserer Sicherheit.

Ganz so mutig ist dann der Programmentwurf in dem Punkt auch wieder nicht. Denn als Alternative zur Neutralität wird eine europäische Armee angeführt, und die gibt es schlicht und einfach nicht und wird es so bald auch nicht geben. Ein eigenständiger europäischer Weg wäre wohl mit der Nato schwer kompatibel. Die wäre übrigens die echte Alternative zur Neutralität. Aber der Letzte, der den Mut hatte, das zu formulieren, war Wolfgang Schüssel.

In Summe bringt das Papier eine ganze Reihe interessanter Ansätze. Jetzt geht es in die Parteigremien, und da kommen die Funktionäre mit viel Sitzfleisch ins Spiel. Man darf gespannt beobachten, was am Ende vom Programmentwurf übrig bleibt.

E-Mails an:martin.fritzl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Neutralität ist obsolet

Die ÖVP will eine EU-Armee – und bleibt auf halbem Weg stehen.
�VP-KLAUSUR IN SAALFELDEN: PRESSEKONFERENZ
Innenpolitik

Neues Wahlrecht gesucht

Die Parteibasis will ein Mehrheitswahlrecht. Doch welches? Überhaupt ist die Idee intern nicht unumstritten.
Innenpolitik

ÖVP: Programm ohne Neutralität, mit EU-Heer

Der Entwurf der ÖVP sieht auch ein Mehrheitswahlrecht und Selbstbehalte im Gesundheitswesen vor. Von Zuwanderern wird Leistung verlangt.
Innenpolitik

Kardinal Schönborn fühlt sich von der ÖVP im Stich gelassen

Fortpflanzungsmedizin. Die Kirche lehnt das umstrittene Gesetz ab.
Politik

Die „Evolution“ der ÖVP in 39 Fragen

Die ÖVP befragte ihre Mitglieder zu ihren Wünschen für das neue Parteiprogramm. Im Mai soll es dann fertig sein.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.