Klar: Wenn der Sieger Cameron heißt, muss er verloren haben

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BRITAIN GENERAL ELECTIONS (c) APA/EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA
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Wenn Wunschdenken das Urteil trübt: Erst schrieben Camerons Gegner seine Wahlniederlage herbei, nach dem Triumph sehen ihn manche geschwächt.

Die Abgesänge auf David Cameron waren angestimmt, die politischen Nachrufe bereit für den Abdruck. Wochenlang rechneten Hobbyarithmetiker hingebungsvoll Koalitionsvarianten durch. Gegner des Mehrheitswahlrechts ergötzten sich an der Vorstellung eines Patts in Westminister. Doch dann kam alles anders.

Denn: „Die einzige Meinungsumfrage, die zählt, ist die Wahl.“ Diese kleine süffisante Bemerkung wollte sich der britische Premier nach seinem Wahltriumph nicht verkneifen. Er holte wider alle Erwartungen eine absolute Mehrheit für die Konservativen – und strafte damit alle Demoskopen Lügen, die bis zur letzten Minute atemlos ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Labour prognostiziert und damit katastrophal danebengegriffen hatten. Bei manchen journalistischen Wahlkampfbeobachtern, die Camerons Niederlage geradezu entgegengefiebert haben, wird wohl eine gehörige Portion Wunschdenken das Urteil getrübt haben. Der Tory-Chef zählt sicherlich zu den Lieblingsfeindbildern des linksliberalen Juste Milieu, und zwar auf beiden Seiten des Ärmelkanals.

Camerons Gegner fanden jedoch auch nach dem Wahlsieg der Konservativen schnell ganze Haarteile in der Suppe. Der Premier sei nun in Wirklichkeit geschwächt und stärker denn je auf seine Hinterbänkler angewiesen, ätzten sie. Eine interessante Logik, die impliziert, dass ihm die bisherigen liberaldemokratischen Koalitionspartner grosso modo näherstünden als seine Parteifreunde und die Möglichkeit, allein zu regieren, ein bedauerliches Handicap darstelle. Aber klar: Wenn der eindeutige Sieger einer Wahl Cameron heißt, muss er eigentlich verloren haben, auch wenn der Mann drei seiner Konkurrenten vernichtend aus dem Feld geschlagen hat. Ed Miliband, Vorsitzender der Sozialdemokraten, Nick Clegg, Chef der Liberaldemokraten, und Nigel Farage, Anführer der europafeindlichen United Kingdom Independence Party (UKIP) – sie alle mussten nach der Wahl ihren Hut nehmen. Besondere Tragweite könnte der Rücktritt von Farage haben. Es wäre nicht zum ersten Mal, dass eine Bewegung wie UKIP, die schnell gewachsen ist, ebenso rasch auseinanderfällt, wenn ihr die Leitfigur abhandenkommt. Aber abwarten, vielleicht spiegelt ja auch diese Einschätzung eine Form des Wunschdenkens wider: UKIP war bei dieser Wahl ein Opfer des Mehrheitswahlrechts. Farage erzielte 12,6 Prozent der Stimmen, um fast zehn Prozentpunkte mehr als 2010, verfehlte aber in seinem Wahlkreis einen Sitz – und legte deshalb den Parteivorsitz zurück.

Aber egal, auch wenn EU-Hasser Farage in der Versenkung verschwindet: Für Europa bedeutet das Wahlergebnis „Bad News“, wie der „Spiegel“ titelte. Man will sich ja weiter lustvoll vor dem britischen Schnöselpremier und den bösen Europa-Skeptikern fürchten.

Es stimmt schon: Cameron wird nach seinem Wahlsieg wohl noch vor Ende 2017 ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abhalten. Eine Labour-Regierung hätte eine solche Abstimmung nicht zugelassen, einen Brexit aber womöglich nur aufgeschoben. Denn nach einer Schlappe Camerons wären die Tories in der Opposition garantiert auf einen strafferen Anti-EU-Kurs geschwenkt, was sich dann in einem Votum in der übernächsten Legislaturperiode niedergeschlagen hätte. Jetzt jedoch bleibt jemand an der Spitze der Tories und der Regierung, der sich klar für eine weitere EU-Mitgliedschaft ausgesprochen hat, sofern Brüssel die eine oder andere Reform einleitet. Das sind gute Nachrichten für Europa.


Der Fairness halber könnte man sich auf Folgendes einigen: Cameron bleibt deshalb im Amt, weil die Liberaldemokraten neben ihm als Koalitionspartner verhungert sind, die schottischen Nationalisten Labour zwischen Edinburgh und Aberdeen zertrümmert haben und UKIP bloß ein Mandat ergattert hat. Cameron hat gewonnen, weil er einen guten Wahlkampf und sein Land zurück auf den Wachstumspfad geführt hat, weil ihn die Briten sympathischer als den sozialdemokratischen Umverteiler Miliband finden. Und weil sie einen Konservativen an der Macht wollen; das freilich dürfte für manche besonders schwer zu akzeptieren sein.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

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