Abschiedsparty für die alte Weltordnung

Die G7 sind zum folkloristischen Ritual erstarrt und stecken wie Weltbank, IWF und WTO in einer schweren Sinnkrise.

Sonnenschein und Alpenpracht, die Damen im Dirndl, die Herren in der Gamsledernen, Brezen und Bier für den Gast aus Amerika, höfliche Scherze, die Demonstranten weiträumig ferngehalten: Der Beginn des G7-Gipfeltreffens in Bayern hat jene sorgsam choreografierten Bilder einmütiger Staatenlenker geliefert, mit denen der weltpolitische Wanderzirkus seine Handlungsfähigkeit zu bekunden wünscht. Die Maschine im Herzen dieses Gipfelspektakels, dessen will man die Bürger vergewissern, läuft: Die Spitzen der sieben wichtigsten Nationen des Westens arbeiten angestrengt an der Lösung der großen Fragen unserer Zeit, von der Selbstzerstörung des Orients bis zur schleichenden russischen Invasion in der Ukraine. Auch dem Meeresumweltschutz, den Resistenzen gegen Antibiotika, den Standards in Handels- und Lieferketten und der Stärkung von Frauen im Beruf will man sich widmen.

Kaum ein Menschheitsproblem bleibt auf Schloss Elmau unerwähnt. Doch keines wird seiner Lösung auch nur einen Schritt näher kommen. Die G7 sind zu Beginn ihres fünften Jahrzehnts ebenso erschöpft und, im strengsten Wortsinn, machtlos wie die anderen Säulen der westlichen Nachkriegsordnung. Macht hat, wer andere, auch gegen ihren Willen, zu einem Tun oder Lassen bewegen kann. Gewiss sind Angela Merkel, Barack Obama oder David Cameron nicht völlig ohnmächtig, als Oberhäupter der größten Streitkräfte und Volkswirtschaften der Welt. Doch zur Befriedung der Welt, zum Schutz der Atmosphäre und der Weltmeere, zur Befreiung von hunderten Millionen Frauen aus Unterdrückung und Ausbeutung fehlt ihnen das Pouvoir. Dass aus den G8 im Zuge des ukrainischen Kriegs die G7 geworden sind, hat den nun von den Gipfeltreffen exilierten russischen Präsidenten nicht dazu bewogen, seine brutale Kolonialpolitik im postsowjetischen Schattenraum zu unterlassen. Weder drohende Appelle noch hunderte Bombenangriffe westlicher Luftwaffen haben die gottlosen Krieger des Islamischen Staats bezwungen, geschweige denn die durch und durch korrupte arabische Herrscherklasse dazu bewogen, den Krieg zwischen Sunniten und Schiiten zu beenden. Und in der Zwischenzeit baut Xi Jinping, der beinharte neomaoistische Führer in Peking, mit militärischen und kommerziellen Mitteln ein neues asiatisches Tributsystem auf.

Die G7 verkörpern in ihrem hilflosen Pomp die Sinnkrise des Westens. Als Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing im Jahr 1975 ihre Partner aus Großbritannien, Italien, Japan und den USA zum ersten „Weltwirtschaftsgipfel“ auf Schloss Rambouillet luden, einten Not und Zweck diese Gruppe der sechs Westmächte (Kanada stieß erst ein Jahr später hinzu). Ihre aufblühenden Konsumgesellschaften standen nach 30 gloriosen Jahren des Wirtschaftswachstumswunders angesichts des arabischen Ölembargos und des Zusammenbruchs des Systems fester Wechselkurse vor der ersten tiefen Herausforderung ihres Wirtschaftssystems. Man hatte ein gemeinsames Interesse und in der UdSSR einen gemeinsamen Feind, der die Konzentration schärfte. Mit Weltbank, Internationalem Währungsfonds IWF und später der Welthandelsorganisation WTO konnten die transatlantischen sieben sich wirksamer Werkzeuge zur Herstellung jener Weltordnung bedienen, die ab den Neunzigerjahren mit dem Schlagwort „Washingtoner Konsens“ zur Bête noire jedes gestandenen Globalisierungsgegners wurden: Freihandel, Marktderegulierung, Ausrichtung der Volkswirtschaften auf Export, gemäß ihrer tatsächlichen oder erhofften relativen Wettbewerbsvorteile.

Dieses Credo ist ermattet. Die WTO ist klinisch tot, der IWF wird von der griechischen Regierung wie ein Tanzbär am Nasenring vorgeführt, der Weltbank erwächst in der von Peking forcierten Asiatischen Infrastrukturinvestitionsbank ein mächtiger Gegner. Was an ihre Stelle treten soll, ist schleierhaft. Sicher ist jedoch eines: Wenn Europäer und Nordamerikaner sich nicht des Werts ihrer transatlantischen Beziehung besinnen und auf der Weltbühne geeint und mutig für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Marktwirtschaft eintreten, können sie sich den Gipfelzirkus gleich zur Gänze ersparen.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2015)

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