Virologen stellen das Ausmaß der Bedrohung durch den Schweinegrippe-Erreger infrage. Der Virus sei nicht so aggressiv wie befürchtet. Gefährlich sei nur die Übertragung von Mensch zu Mensch, so Experten.
Erste Zweifel an der Gefährlichkeit der Schweinegrippe: Sozialmediziner Michael Kunze sagte bereits am Dienstag im "Presse"-Interview: "Die Schweinegrippe ist kein Killervirus. Tatsächlich ist der Krankheitsverlauf im Vergleich zu anderen Grippestämmen relativ unspektakulär." Angesichts nach unten korrigierter Todesfallzahlen aus Mexiko stellten nun auch andere Experten das Ausmaß der Bedrohung durch das Virus infrage. "Die Diagnose des A/H1N1-Virus ist schwierig und unter den mexikanischen Gesundheitsbedingungen nicht möglich", sagte der Mikrobiologe Alexander Kekule am Mittwoch "Spiegel Online" zufolge.
Die nicht auf die Schweinegrippe zurückzuführenden Todesfälle bezeichnete der Professor der Universität Halle als "die ganz normalen Todesraten in einem Schwellenland". Nicht jeder, der an einer Lungenerkrankung sterbe, sei ein Epidemieopfer.
Bestätigt sind in Mexiko bisher 26 Schweinegrippe-Infektionen, darunter sieben Todesfälle. Zuvor hatten die Behörden höhere Zahlen genannt. Außerhalb Mexikos gab es bisher einen Todesfall: Ein 23 Monate altes Kleinkind aus Texas starb an den Folgen der Schweinegrippe.
"Virus nicht sehr aggressiv"
Sigrun Smola, Direktorin des Instituts für Virologie in Homburg, sagte dem Nachrichtenportal zufolge, im Vergleich zum Vogelgrippe-Virus, "das eine hohe Virulenz, aber eine geringe Übertragungsrate von Mensch zu Mensch besaß, scheint es bei diesem neuen Virus eher umgekehrt zu sein".
Mikrobiologe Kekulé, der auch Mitglied in der Schutzkommission des Bundesinnenministeriums ist und die Behörde bei Katastrophenfällen berät, mahnt zur Verhältnismäßigkeit. Von 2500 Verdachtsfällen sei bisher die Rede. Die Dunkelziffer noch nicht erkannter Infektionen werde üblicherweise auf rund das Zehnfache geschätzt. Gehe man also von etwa 25.000 Ansteckungen und sieben Todesfällen aus, komme ein Toter auf 3000 Infizierte. Das sei weniger als bei einer normalen Influenza. "Das neue Virus wäre damit also nicht sehr aggressiv", erläuterte der Professor.
Von einem Fehlalarm wollte Kekule dennoch nicht sprechen: "Die mexikanischen Behörden hatten wohl wenig Daten zur Verfügung." Das Verhalten von Experten und Behörden hält er für richtig: "Man war einfach vorsichtig."
Medikamente wirken, Impfung in Arbeit
Keinen Grund zur Panik sehen auch Fachleute des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin: "Die Schweinegrippe ist deswegen gefährlich, weil sie von Mensch zu Mensch übertragen wird, sie hat teilweise die gleichen 'Baustoffe' wie die sogenannte saisonale Grippe. Aber die bekannten Medikamente wirken, und ein Impfstoff kann innerhalb der nächsten drei bis sechs Monate entwickelt werden", sagte Gründungsdirektor Stefan Kaufmann. "Bei der Vogelgrippe hingegen fehlt noch immer der Infektionsweg von Mensch zu Mensch, trotzdem ist sie für Infizierte weitaus gefährlicher", fügte er hinzu.
(Ag.)