Das neue Wunderteam Córdoba ist nicht genug

WM-QUALIFIKATION: SCHWEDEN - �STERREICH
WM-QUALIFIKATION: SCHWEDEN - �STERREICH(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Siegermentalität, Professionalismus und Know-how aus Topligen – das ÖFB-Team ist so gut wie nie.

Österreichs Fußball erlebt derzeit ein noch nie so intensiv erlebtes Glücksgefühl. Das Flaggschiff der nationalen Kickerei befindet sich auf Kurs Richtung Euro 2016 in Frankreich. Es ist ein historisches Kunststück, denn noch nie konnte sich Österreich in seiner seit 1902 dokumentierten Länderspielhistorie für eine Europameisterschaft qualifizieren. Ja, 2008 fand die Euro zwar in Wien, Innsbruck, Klagenfurt, Salzburg und der Schweiz statt – Gastgeber unterlagen aber keinerlei sportlicher Prüfung. Auch sind es keine Zufallssiege, die dieses Wir-Gefühl heben, Selbstvertrauen geben und Hoffnungen wecken, sondern verdiente Erfolge, durch ein kollektives System und individuelle Reifeprozesse erwirkt.

Für Nostalgiker ist das Event in Frankreich auch genau das richtige, um die neue Stärke offen zu demonstrieren. Bei der WM 1998 hat sich Österreich von der Weltbühne verabschiedet, ist seitdem nur noch Zuschauer gewesen. Es ist ein Neubeginn und Schlussstrich zugleich.


»I wea narrisch«: Landskrona. Der österreichische Fußball lebte bislang munter und unverbesserlich von seiner Vergangenheit. Das Wunderteam rund um Matthias Sindelar schrieb in den 1930er-Jahren Geschichte, man zehrt von seinem Mythos bis dato ebenso wie von WM-Bronze 1954 (Schweiz). Österreich war WM-Dritter, auch Olympia-Silber 1936 steht zu Buche. Unvergessen blieb nach insgesamt sieben WM-Teilnahmen nur der 3:2-Sieg gegen Deutschland 1978 in Córdoba. Edi Finger wurde „narrisch“, sein Schrei prägte alle Auftritte des ÖFB-Teams nach 737 Spielen, 301 Siegen, 161 Unentschieden oder 275 Niederlagen.

Dazwischen liegen endlose Leerläufe, bittere Niederlagen, gescheiterte Teamchefs – auch wenn sie selbst Weltklassespieler waren, stets amüsant-eloquent, musikalisch hoch begabt oder mit dem Golfschläger talentiert. Kostproben? 0:1 in Landskrona (1990, Josef Hickersberger), 0:9 in Valencia (1999, Herbert Prohaska) etc.

Antworten und Ausreden gab es sonder Zahl, Enttäuschungen, Tränen, falsche Taktiken und geplatzte Hoffnungen ebenso. Es schien, als würde man sich regelrecht in dieser Kicker-Melancholie suhlen, genörgelter Pessimismus und Abseits passen auch wunderbar zusammen. Dieses Szenario ging jahrelang einher mit zusehends dümmlicher anmutenden Auftritten diverser Legionäre, die bei Trainingslagern zuerst vorrangig WLAN und Playstation begehrten.

Davon ist in der Gegenwart nichts mehr zu bemerken, mit der Verpflichtung des 2011 von der Wiener Trainer-Schickeria strikt abgelehnten Schweizers Marcel Koller kehrten Ruhe, Ordnung und System ein. Parallel dazu scheint Koller wahrlich die Sonne. Er hat auch das Glück, das seinen Vorgängern nicht gegönnt war: die seit 1978 sicherlich besten Spieler, die großteils seit Jahren im Ausland und mitunter auch tragende Rollen bei ihren Klubs spielen sowie obendrein persönliche Eitelkeiten abgelegt und einen individuellen Reifeprozess vollzogen haben.

Im aktuellen Kader sind von 23 Spielern 20 Legionäre, das sagt in Wahrheit alles über Kollers Ausrichtung und auch über die Tendenz, dass aus der Bundesliga fortan noch weitaus mehr kommen muss, will ein Fußballer das Teamtrikot tragen.

Koller konnte seit vier Jahren ein Team formen, er schenkte Spielern wie Almer, Janko etc. auch dann das Vertrauen, als sie bei ihren Vereinen nur auf der Bank saßen. Das vereinte im Team alle Kräfte, Janko flog für ein Länderspiel sogar rund um den Erdball. Es wuchs eine Einheit, aus der Bayern-Spieler David Alaba freilich herausragt, aber der Teamgeist Ton und Richtung vorgibt, und die in dieser EM-Qualifikation mit beachtlichen Ergebnissen überzeugte. Spiele, die früher nach einem Rückstand oder einigen Fehlpässen bereits verloren geglaubt waren, werden nun gewonnen. Dieser Einsatz wird belohnt: 1:1 gegen Schweden, 2:1-Sieg in Moldau, Siege gegen Montenegro (1:0), Liechtenstein (5:0) und zwei 1:0-Triumphe gegen Russland.


Nummer 14 der Welt? Sechs Spiele, 16 Punkte, Österreich ist Tabellenführer der Gruppe G. Das EM-Ticket ist greifbar nahe, die zwei besten Teams jeder Gruppe und der punktebeste Dritte qualifizieren sich direkt für die EM. Es sind noch vier Partien offen, die endgültige Gewissheit erlangt Österreich mit einem Sieg am Samstag gegen Moldau – falls Russland gegen Schweden nicht gewinnt. Auch anschließende Niederlagen wären nicht schmerzhaft, wartet doch der Joker im finalen Heimspiel gegen Liechtenstein. Aber mit dieser in Österreich gängigen Form der Fußballmathematik kann Marcel Koller nichts anfangen. Auch in diesem Punkt sind ewige Nörgler (vorerst) verstummt: Österreich wird es zur Euro schaffen, nicht weil 24 statt bislang 16 Nationen mitspielen, sondern weil Erfolg, Leistung, Form und Einstellung stimmen.

Auf dem Weg nach Frankreich hat das ÖFB-Team in der Fifa-Weltrangliste nun ein absolutes Hoch erreicht. Österreich wird als Nummer 14 der Welt geführt, ist in diesem Ranking derzeit also besser als Italien (16), Uruguay (18) oder Frankreich (23). Nummer eins ist nicht Weltmeister Deutschland, sondern Argentinien, Nr. zwei ist Belgien und irgendwie läuft man als jahrelang geplagter, oft enttäuschter Beobachter trotz der aktuellen Erfolgswelle Gefahr, dieses Ranking infrage zu stellen. Es sagt über die wahre Spielstärke nicht viel aus, es ist auch keine Erfolgsgarantie; es ist aber ungemein schmeichelhaft. Es lässt Spieler, Team und Fans die Gegenwart genießen und von der Zukunft (Top Ten) träumen, die Vergangenheit vergessen.

Córdoba ist für diese Mannschaft nicht mehr genug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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