Wovor fürchten sich die Eidgenossen eigentlich?

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Jobsorgen und Überfremdungsangst überschatten die Schweizer Parlamentswahlen. Dabei stehen die Schweizer in Europa vergleichsweise gut da.

Wenn die Meinungsforscher recht behalten (was heute nicht mehr so selbstverständlich ist), dann wird die Schweiz bei den morgigen Parlamentswahlen einen weiteren Rechtsruck erleben. Die Begründungen, die Politologen und andere professionelle Politbeobachter im Vorfeld dafür liefern, klingen hierzulande irgendwie vertraut: Angst vor Überfremdung durch die laufende Flüchtlingswelle und Angst um den Job, weil sich die Wirtschaftsdaten ganz unschweizerisch verschlechtern.

Aber wovor fürchten sich die Schweizer eigentlich wirklich? Der Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung ist mit rund einem Viertel zwar schon vergleichsweise hoch, aber die aktuelle Flüchtlingswelle, die derzeit für chaotische Verhältnisse in Österreich und Deutschland sorgt, geht an der Schweiz weitgehend vorbei. Knapp 30.000 Asylanträge in diesem Jahr sind vergleichsweise ein Klacks, zumal die Schweizer ja bei der tatsächlichen Asylgewährung auch noch wesentlich genauer als Deutsche und Österreicher hinsehen.

Die Wirtschaftsdaten, die den Eidgenossen Kopfzerbrechen bereiten, haben sich zwar tatsächlich verschlechtert. Das Wachstum ist kaum noch sichtbar, und das Land ist vorübergehend in eine Deflationsphase gerutscht. Aber die Jobangst scheint bei einer Arbeitslosenrate von 3,5 Prozent doch leicht übertrieben zu sein. Hierzulande gilt so etwas als Beinahevollbeschäftigung. Ein Zustand, den wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben.

Also, wovor fürchten sich die Schweizer so sehr, dass sie massenhaft in die Arme von Rechtspopulisten flüchten? Es dürfte sich im wirtschaftlichen Bereich wohl um eine Art diffuse Zukunftsangst handeln, die stark im Steigen begriffen ist. Und die zwei grundlegende Ursachen hat: Das von den USA erzwungene Ende des Geschäftsmodells „Sicherer Hafen für Schwarzgeld und Steuerhinterzieher aus aller Welt“ und die tief greifenden Strukturänderungen, die der Franken-Schock vom Jänner dieses Jahres ausgelöst hat (nach dem Ende der Eurobindung ist der Franken-Kurs in wirtschaftsschädliche Höhen geschossen).

Beides wird dafür sorgen, dass in der Schweizer Wirtschaft kein Stein auf dem anderen bleibt. Aber beides wird, auch das kann man ruhig sagen, die herausragende Stellung der Schweizer Wirtschaft auf Dauer eher stärken, auch wenn es kurzfristig für Turbulenzen sorgt.

Teil eins, das Ende des „Alpentresors“ für Steuerflüchtlinge – übrigens die einzige Art von Flüchtlingen, die auch bei eidgenössischen Rechtspopulisten immer wohlgelitten waren – ist ja schon verarbeitet: Der Anteil des Finanzsektors am BIP ist ein wenig geschrumpft, aber immer noch fließt „Fluchtgeld“ aus aller Welt nach Zürich und Genf. Diesfalls eben „weißes“. Der Franken (und das ist unterdessen ein ernstes Problem für die Schweizer Exportwirtschaft) ist eben noch immer erste Wahl, wenn es gilt, sein Finanzvermögen vor den Gelddruckern in New York und Frankfurt in Sicherheit zu bringen. Dass in den vergangenen Jahren keine Notenbank ihre Bilanz so unglaublich aufgeblasen hat wie die schweizerische, spielt da keine Rolle.


Ernster sind schon die Auswirkungen des Franken-Schocks. Aber es ist nicht der erste: In den Siebzigerjahren, nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems, hat der Franken ähnliche Bocksprünge vollführt. Damals sind ganze Wirtschaftszweige, etwa die Textilindustrie, aus dem Land verschwunden. Aber der Rest ist, von der Währungspeitsche zur Effizienzsteigerung gezwungen, gestärkt aus der Krise hervorgegangen.

Es gibt keinen Grund, wieso es nicht auch diesmal so sein sollte. Es wird für exportorientierte Zulieferer schwierig werden, und es wird hart für den Fremdenverkehr (da könnte ein Drittel aller Hotels in den Alpen verschwinden). Aber die Schweiz hat ein großes Asset: Sie verfügt laut World Economic Forum über die innovationsstärkste Wirtschaft dieses Globus. Und, nebenbei, über die demokratieerprobteste Bevölkerung. Da sollte man sich, auch wenn es vorübergehend Turbulenzen gibt, weder über die Wirtschaft noch über die politische Landschaft übertriebene Sorgen machen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2015)

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