Die Wahl der Schweiz

Election posters for Swiss People´s Party candidates are seen on a street in Guemligen
Election posters for Swiss People´s Party candidates are seen on a street in Guemligen(c) REUTERS (RUBEN SPRICH)
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Sechs Thesen zur Schweiz.Am Sonntag wählen die Eidgenossen. Wie steht es um die oft beneideten Nachbarn? Teils besser, teils schlechter, als man gemeinhin annimmt.

1 Der Franken-Schock ist gut verkraftbar – dank einer enorm wettbewerbsfähigen Industrie.

Groß war im Jänner die Aufregung, als die Schweizer Nationalbank ihren Mindestkurs zum Euro aufgab. Schlagartig erhöhte sich der Wert des Franken um 15 Prozent. Die Exportwirtschaft jaulte auf, viele prophezeiten eine schwere Rezession. Mittlerweile ist klar: Die Schweiz verkraftet den Schock ohne gröbere Blessuren. Mit 0,9 Prozent Wachstum rechnet die Regierung in Bern für heuer, nächstes Jahr sollen es schon wieder 1,5 Prozent sein. Die billigeren Importe haben die private Kaufkraft gestärkt. Und die Exporteure stellten einmal mehr unter Beweis, dass die Schweiz eines der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt ist: Sie drehten an allen Kostenschrauben. Das gelang ihnen schon in der Eurokrise, als der Franken mit 30 Prozent sogar doppelt so stark aufwertete. Der österreichischen Industrie bleiben solche Hartwährungszumutungen durch den Euro erspart. Er verringert aber den segensreichen Druck, ständig besser werden zu müssen.

2 Emmentaler zum Eigenbedarf? Von wegen: So globalisiert ist keine andere Volkswirtschaft.

Ein weiterer Grund, warum die Schweiz mit einem blauen Auge davonkommt: Ihre Firmen sind in der ganzen Welt zu Hause. Anders als hierzulande dominieren nicht Mittelständler, die oft nach Deutschland zuliefern, sondern global tätige Konzerne wie Nestlé (Nahrungsmittel), Roche, Novartis (Pharma) oder ABB (Energietechnik). Dazu kommt der Rohstoffhandel in Zug und Genf. Die zwanzig Unternehmen im Börsenindex SMI machen fast 90 Prozent ihres Umsatzes im Ausland. Kein anderer Index ist so international. Asien und die USA sind wichtige Absatzmärkte, die Abhängigkeit von Europa ist weniger stark: Während Österreichs Ausfuhren zu 80 Prozent in EU-Länder gehen, sind es in der Schweiz „nur“ 60 Prozent.

3 Die Schweiz lebt nicht (mehr) von Steuersündern. Sie passt gerade ihr Geschäftsmodell an.

Eine populäre Ansicht ist: Die Schweizer sind nur deshalb so unverschämt erfolgreich, weil sie Steuersündern aus aller Welt Zuflucht bieten. Historisch ist da einiges dran. Aber ganz so parasitär ist das Geschäftsmodell nicht (mehr). Zwar machen Banken und Versicherungen fast elf Prozent des BIPs aus, weit mehr als etwa in Deutschland (3,6 Prozent). Aber das Geschäft mit reichen Kunden aus dem Ausland ist davon nur ein kleinerer Teil: rund zwei bis drei Prozentpunkte. Schon vor fünf Jahren analysierten Wirtschaftsberater der Berner Regierung: Falls der Schweiz dieser Brocken entgeht, weil das Bankgeheimnis durch Druck von außen mit einem Schlag fällt, rutscht sie in eine Rezession. Wenn die Banken aber einige Jahre Zeit zur Anpassung haben, können sie den Entfall in anderen Bereichen wettmachen. Die Schonfrist haben Europa und die OECD mit ihren Terminplänen gewährt. Auch hier dürfte die Schweiz elegant die Kurve kratzen.

(c) Die Presse

4 Der Staat ist in der Schweiz ähnlich mächtig wie bei uns – aber dennoch effizienter.

Hartnäckig hält sich die Mär, die Schweiz käme mit einer Steuerquote von 27 Prozent aus. Bei einem voll ausgebauten Sozialstaat wäre das ein ziemliches Wunder. Tücken der Statistik: Da die Schweizer sich ihre Sozialversicherung aussuchen können, werden die fixierten Beiträge zum Privatsektor zugerechnet. Korrigiert kommt man auf 39,6 Prozent. Das ist sogar mehr als in Deutschland (36,5 Prozent) und nicht mehr weit weg von Österreich (41,7 Prozent). Die gleiche Falle lauert bei den Verwaltungskosten. Eine Wifo-Studie von 2008 wies sie um ein Drittel niedriger aus als hierzulande: 12,9 statt 20,8 Prozent des BIPs. Das machte nachhaltig großen Eindruck. Aber auch hier fehlen staatliche Finanzierungsbeiträge zur Sozialversicherung. Freilich: Selbst wenn man auf 18 Prozent korrigiert, bleibt eine Lücke von über neun Milliarden Euro oder jährlich 1074 Euro pro Kopf. Manches dürfte bei den oft allzu beneideten Nachbarn also doch effizienter laufen.

5 Die Schweiz ist ein echtes Einwanderungsland, auch wenn sich viele abschotten möchten.

Noch aus den dunklen Zeiten des Dritten Reichs hängt den Schweizern das Image nach, dass sie keine Fremden im Land wollen (außer als reiche Anleger oder zahlungskräftige Touristen). Das Minarettverbot und die erfolgreiche Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ vom Vorjahr scheinen das zu bestätigen. Was nicht dazupasst: Der Ausländeranteil ist mit rekordverdächtigen 24,3 Prozent fast doppelt so hoch wie in Österreich. Freilich: Zwei Drittel dieser Ausländer kommen aus dem EU- und Efta-Raum; in Österreich sind es nur gut die Hälfte. Die Sorgen der Schweizer gehen in eine ungewohnte Richtung: Die meisten Deutschen, Franzosen und Italiener, die als Zuwanderer oder Grenzgänger auf den Arbeitsmarkt drängen, sind hoch qualifiziert – weshalb gut ausgebildete Einheimische um ihren Job fürchten. Vor einer europäischen Lösung für die aktuelle Flüchtlingskrise kann sich Bern nicht drücken: Die Schweiz ist Schengen-Mitglied und nimmt an der gemeinsamen Asylpolitik teil. Aber bisher liegt sie abseits der großen Flüchtlingsrouten. Deshalb mussten die Behörden ihre Prognose vom Jahresbeginn nicht einmal anpassen: Mehr als 29.000 Asylgesuche dürften es heuer nicht werden.

6 Brüssel hat Bern in der Hand, gerade weil die Schweiz kein EU-Mitglied ist.

Als Zeichen von Trotz und Ohnmacht kann man die Einwanderungsinitiative sehen. Ab 2017 soll es mit dem freien Personenverkehr mit EU-Staaten vorbei sein. Wenn das so einfach wäre! Damit kündigt die Schweiz nämlich einen Teil der bilateralen Verträge, und dann schlägt die „Guillotine-Klausel“ zu. Das heißt: Auch andere Abkommen werden hinfällig. Vor allem der privilegierte Zugang zum Binnenmarkt, auf den die Eidgenossen keinesfalls verzichten wollen. Daran zeigt sich: Auch ohne EU-Mitgliedschaft sind die Schweizer von Brüssel abhängig. Sie müssen Beschlüsse umsetzen und mitfinanzieren. Dabei haben sie, anders als die Österreicher, nicht einmal ein Mitspracherecht. Manche helvetischen Siege sind eben eher fiktiv. So wie jener gegen die Österreicher in der Schlacht am Morgarten. Ihr 700. Jahrestag wird heuer groß gefeiert – obwohl sie aus Sicht der Historiker nie stattgefunden hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2015)

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