UN-Sondervermittler de Mistura will noch vor dem Gipfel am Samstag drei Arbeitsgruppen bilden, die den Friedensprozess vorantreiben sollen. Möglichst konkrete Maßnahmen sollen Syriens Zivilbevölkerung schützen.
Wien/New York. Staffan de Mistura gilt als soignierter Diplomat der alten, zurückhaltenden Schule. Doch vor dem nächsten Wiener Syrien-Gipfel macht der UN-Sonderbeauftragte Druck. Der Impuls, der von Wien ausgehe, dürfe nicht verschenkt werden, erklärte der Italo-Schwede in der Nacht auf Mittwoch nach Sonderberatungen des Weltsicherheitsrats in New York.
De Mistura will am Freitag in Wien drei Arbeitsgruppen auf Beamtenebene aus der Taufe heben, die den Syrien-Friedensprozess vorantreiben sollen. Eine davon soll ausloten, ob Verhandlungen zwischen der syrischen Opposition und dem Regime Bashar al-Assads eingefädelt werden können. Ein zweites Team wird sich mit der Frage auseinandersetzen, welche Rebellengruppen in Syrien als terroristisch einzustufen sind. Russland und Iran, Assads Schutzherren in Syrien, möchten diese Definition möglichst breit halten. Und die dritte Gruppe soll nach Wegen suchen, um die humanitäre Situation in Syrien zu verbessern: Darin soll ein hochrangiger österreichischer Diplomat mitwirken. Auch ein australischer Vertreter wird sich Ende der Woche in Wien in diesen operativen Prozess einklinken. Australiens Außenminister wird jedoch nicht erwartet.
Kontaktgruppe bleibt unverändert
Die Kontaktgruppe, die sich vor eineinhalb Wochen im Hotel Imperial formiert hat, wird indes weitgehend unverändert bleiben. Insgesamt 17 Chefdiplomaten von Super- und Regionalmächten sowie die EU-Außenbeauftragte sollen am Samstag unter der Führung von US-Außenminister John Kerry und dessen russischem Kollegen, Sergej Lawrow, die Pläne und Arbeitsgruppen de Misturas absegnen. Nach Informationen der „Presse“ will der UN-Sondergesandte möglichst konkrete Maßnahmen zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung anstoßen. Es ist angedacht, einen humanitären Korridor für intern Vertriebene zu schaffen und sowohl Russen als auch Amerikanern Koordinaten von Spitälern und Schulen in Syrien mitzuteilen, um Luftangriffe auf zivile Ziele zu verhindern.
De Misturas Versuch, Assads Regime Anfang November, unmittelbar nach dem letzten Wiener Gipfel, bei einem Besuch zu einer ersten Geste zu bewegen, scheiterte jedoch dem Vernehmen nach. Angeblich wollte der Vermittler die syrische Regierung in einer Erklärung darauf festlegen, künftig keine Fassbomben mehr einzusetzen. Doch Assad ließ trotz erdrückender Beweise entrüstet zurückweisen, dass er solche verheerenden Waffen überhaupt verwende. Diese Starrsinnigkeit ist dem Vernehmen nach auch im Kreml auf wenig Verständnis gestoßen. Jedenfalls lud Russlands Außenminister Lawrow den UN-Sonderbeauftragten nach dem Eklat in Damaskus postwendend nach Moskau ein.
Eine der größten diplomatischen Herausforderungen scheint es derzeit zu sein, Saudiarabien und den Iran an einem Verhandlungstisch zu halten. Die Saudis hatten sich lange erfolgreich dagegen gesträubt, ihren schiitischen Erzfeind in Gespräche einzubinden. Mittlerweile beginnt sich auch der Iran zu zieren: Der iranische Vizeaußenminister, Hossein Abdollahian, stellte am Mittwoch klar, dass die Teilnahme Teherans an den Syrien-Gesprächen in Wien noch unsicher sei. Eine erneute Teilnahme Teherans hänge davon ab, ob die US-Regierung auf „unilaterale Handlungen einiger Verhandlungspartner“ reagieren werde, sagte Abdollahian laut dem libanesischen Sender al-Mayadeen. Das dürfte auf Saudiarabien, den Rivalen des Iran am Golf, gemünzt sein. Die Saudis hatten zuletzt in großer Zahl moderne Panzerabwehrlenkwaffen an diverse syrische Rebellengruppen geliefert. Damit gelang es den Aufständischen, eine Bodenoffensive syrischer Truppen und iranischer Elitesoldaten vorerst zu stoppen.
Die Offensive wird von Russland mit Luftschlägen unterstützt. Ziel der Operationen ist es, die Rebellen rund um die Städte Homs und Aleppo zurückzudrängen. Dadurch will das Regime seine Kontrolle über den Westen des Landes ausbauen, in dem diverse Oppositionsbrigaden gegen Assad kämpfen. Damit würde Syrien vorerst in ein zusammenhängendes, von Assad beherrschtes Gebiet im Westen und die Territorien der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Osten des Landes aufgeteilt. Diese Strategie ist bisher aber noch nicht aufgegangen.
Abseits von seiner militärischen Hilfe für das Regime versucht Russland, im Syrien-Konflikt auch auf politischer Ebene stärker aktiv zu werden. Laut Informationen der Nachrichtenagentur Reuters schlägt Moskau in einem Dokument eine Verfassungsreform für Syrien und rasche Präsidentenwahlen vor. Eine erneute Kandidatur Assads wird dabei nicht ausgeschlossen. Das lehnt jedoch die syrische Opposition ab. „Wir sind nicht gegen Wahlen, wir sind Demokraten. Aber es kann nicht sein, dass wir gezwungen werden, einen Präsidenten zu akzeptieren, der ein Krimineller ist und das Land zerstört hat“, sagte der Oppositionspolitiker Michel Kilo von der Syrischen Nationalen Koalition, einem Dachverband oppositioneller Gruppen. Moskau wolle nur Assad und dessen Staatsapparat an der Macht halten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2015)