Erst 2101 könnte die Neuansiedlung von 160.000 Schutzbedürftigen abgeschlossen sein, mahnt die Kommission.
Wien/Brüssel. Jean-Claude Juncker hat gerechnet, und das Ergebnis ist beschämend. Wenn die geplante Umverteilung der 160.000 in Griechenland und Italien gestrandeten Flüchtlinge so schleppend vorangeht wie bisher, dauert es noch 86 Jahre, bis der letzte Schutzsuchende seinen Platz in einem EU-Mitgliedstaat gefunden hat. „Ich bin mit der Geschwindigkeit der Relokationen nicht zufrieden“, gab der Kommissionspräsident deshalb nach dem EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag auf Malta zu Protokoll. Bisher haben 14 Mitgliedstaaten insgesamt 3216 Plätze angeboten. Das zeigt eine tabellarische Auflistung der Kommission, die der „Presse“ vorliegt. 147 Personen wurden tatsächlich umverteilt – nach Finnland, Frankreich, Spanien, Schweden und Luxemburg. Österreich, das laut dem vereinbarten Schlüssel 1953 Flüchtlinge aus dem Programm aufnehmen soll, hat bisher „noch nicht eingemeldet“, wie es aus dem Innenministerium heißt. Das dürfte freilich auch damit zusammenhängen, dass die heimische Regierung allein in diesem Jahr ohnehin mit 95.000 Asylantragstellern rechnet, die über die Balkanroute ins Land gekommen sind.
Der Großteil dieser Menschen reist bekanntermaßen nach Deutschland weiter. Die Bundesrepublik hat für das EU-Programm deshalb bisher nur eine verschwindend geringe Zahl von 30 Plätzen zur Verfügung gestellt – 27.536 sollten es sein. Einzig Bulgarien bietet mit 1302 Plätzen exakt so viele an, wie es das Verteilsystem vorsehen würde.
Kommission will EU-Recht durchsetzen
Die Kommission – als Hüterin der EU-Gesetze für die Einhaltung des beschlossenen Verteilungsmechanismus‘ zuständig – hatte bereits Ende Oktober erklärt, für die Durchsetzung des gemeinsamen Rechts zu sorgen. Welche Mittel die Brüsseler Behörde gegen säumige Mitgliedstaaten vorsieht, und ob es eine Deadline für die Bekanntgabe der zur Verfügung stehenden Plätze gibt, ist bis dato aber nicht bekannt. Auf „Presse“-Anfrage gibt man sich (noch) betont hoffnungsfroh: Die Mitgliedstaaten würden nach und nach Plätze anbieten, heißt es. Laut Entscheidung des Innenministerrates vom 22. September sollen sie dies in regelmäßigen Intervallen, mindestens aber „alle drei Monate“, tun.
Doch mit der stockenden Umverteilung Schutzsuchender droht auch das Konzept der Hotspots an den EU-Außengrenzen zu scheitern, in das die Staats- und Regierungschefs ja die größten Hoffnungen legen. Gleichzeitig tragen die 28 Mitgliedstaaten aber wenig zum Funktionieren bei: Derweil sagten sie insgesamt lediglich 177 Experten und 320 Grenzposten zur Unterstützung nationaler Behörden durch das Asylbüro Easo und die EU-Grenzschutzagentur Frontex zu – nicht einmal halb so viele wie angefordert. Dass bis Ende November elf Hotspots in Griechenland und Italien wie geplant voll funktionstüchtig sein sollen, glaubt mittlerweile auch in Brüssel niemand mehr.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)