Schon im Wahlkampf schickte Premier Mariano Rajoy seine Stellvertreterin, Soraya Sáenz de Santamaría, in die Wahlkampfarena. In den Koalitionsverhandlungen könnte er die 44-jährige Ex-Staatsanwältin aus einer Adelsfamilie als seine Nachfolgerin in Stellung bringen.
Wien/Madrid. Von einer Wahlschlappe oder gar einem Fiasko wollte der spröde Regierungschef partout nichts wissen. Wie den Faustschlag eines 17-jährigen Gymnasiasten, bei dem vor wenigen Tagen seine Brille zu Bruch gegangen war, steckte Mariano Rajoy die satte Wahlniederlage am Sonntagabend, den Verlust von 16 Prozent und der absoluten Mehrheit, mit der Gelassenheit des Sohns einer Honoratiorenfamilie aus Galicien weg.
Im Gottvertrauen auf sein Verhandlungsgeschick reklamierte der 60-jährige, graubärtige Fuchs, ein Polit-Veteran und Adlatus des Ex-Premiers José María Aznar, die Führungsrolle für sich und seine Volkspartei. Vom Balkon der Parteizentrale in Madrid aus schwor er die angesichts des Ende des Zweiparteiensystems aufgewühlte Nation auf einen grundsoliden, konservativen Kurs ein: „Spanien braucht Stabilität, Sicherheit, Gewissheit und Vertrauen.“ „Spanien ernsthaft regieren“ – so lautete denn auch sein Wahlkampfmotto. „Wir können nicht russisches Roulette spielen“, hatte der Premier gewarnt.
Als Krisenmanager hielt sich Rajoy viel darauf zugute, das Land im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise vor einem Absturz à la Griechenland bewahrt und sogar einen zaghaften Wirtschaftsaufschwung initiiert zu haben. Die Wähler präsentierten dem Premier indessen die Rechnung für die zahlreichen Korruptionsaffären und die schwarzen Parteikassen, die prominente Parteigranden den Kopf gekostet hatten.
Ciudadanos-Chef Albert Rivas, ein potenzieller Koalitionspartner, schloss Rajoys Wiederwahl indes dezidiert aus. Vor diesem Hintergrund könnte die Vize-Regierungschefin, die mit ihren 1,55 Metern trotz hochhackiger Pumps am Wahlabend nur knapp über die Brüstung des Balkons hinauslugte, zur Schlüsselfigur avancieren. Der pressescheue Premier, der sich die längste Zeit im Moncloa-Palast einschloss, aber doch Zeit fand, fürs Radio ein Champions-League-Spiel von Real Madrid zu kommentieren, hatte Soraya Sáenz de Santamaría bereits in das TV-Duell mit den Spitzenkandidaten vorgeschickt. Die 44-Jährige schlug sich im Duell mit ihren Generationskollegen durchaus achtbar. In Anspielung auf das Velázquez-Gemälde „Die Hoffräulein“ („Las Meninas“) verleitete dies Podemos-Chef Pablo Iglesias zu Häme über die „Operacíon Menina“, was Santamaría prompt als Macho-Gehabe abqualifizierte.
„La Merkel“
Rajoy hat die resolute Ex-Staatsanwältin aus einer Aristokratenfamilie, die vor jeder Rede die Ärmel hochkrempelt, zur Regierungssprecherin bestellt, zur „Stimme des Herrn“. Dass Santamaría nicht kirchlich geheiratet hat und dass sie nicht für die Aufhebung der Abtreibung und der Homo-Ehe eintritt, brachte den national-katholischen Flügel gegen „La Merkel“ auf, wie manche sie nennen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2015)