Zeit für Spaniens Großparteien, aus der Post-Franco-Starre zu erwachen

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Mit der Abwahl des Zweiparteiensystems beginnt eine neue Ära: Jetzt liegt es an Sozialisten und Volkspartei, das Abdriften ins Chaos zu verhindern.

Spaniens politische Zeitrechnung hat einen neuen Nullpunkt: Das seit Ende der Franco-Diktatur relativ ungestört herrschende Zweiparteiensystem erhielt bei der Parlamentswahl den Todesstoß. Die Wähler gaben ihre Stimme den populistischen Protestparteien und zeichneten damit die politische Landkarte neu. Statt des bisher relativ glimpflich verlaufenden Wechselspiels zwischen den Großparteien droht nun eine Ära der fragmentierten Parlamente, der unklaren Mehrheiten, der instabilen Regierungen – des langwierigen, geheimen Taktierens hinter verschlossenen Türen.

„Italienische Verhältnisse“, sagen einige Kommentatoren mit leichtem Schaudern voraus. Andere, pessimistischere, befürchten im einstigen Eurokrisenland mit dem rasant erstarkenden linksradikalen Syriza-Klon Podemos ein potenzielles neues Griechenland. In Brüssel fragt man sich indes, inwieweit eine politische Lähmung der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone der Gemeinschaftswährung erneut zusetzen könnte. Immerhin erholt sich Spanien dank eines radikalen Sparkurses langsam von der Krise, doch dringende Reformen stehen noch an.

Mit dieser Wahl ist jedoch – entgegen allen Unkenrufen – das politische Schicksal Spaniens noch lang nicht besiegelt. Viel hängt jetzt von den Hauptprotagonisten des iberischen Polit-Dramas ab. Von ihrer Bereitschaft zu einer ehrlichen und nüchternen Analyse, wie es zu dieser – nicht wirklich überraschenden – „Revolution“ kommen konnte.

Gefordert sind da vor allem die Großparteien: Denn sowohl die Sozialisten unter Pedro Sánchez als auch die regierenden Konservativen von Premierminister Mariano Rajoy erhielten genau den Denkzettel, den sie sich verdient haben: Abgestraft wurden ihre Entfremdung vom Wähler und eine unerträgliche Selbstgefälligkeit, das Produkt der vielen Jahrzehnte an der Macht. Symptomatisch für den desolaten Zustand der Parteien war die peinliche TV-Vorwahl-Schlammschlacht zwischen den beiden Parteibossen: Statt sich sachlich mit den zahlreichen akuten Problemen des Landes – Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, separatistischen Regionen, anstehenden Reformen – auseinanderzusetzen, schrien sich Rajoy und Sánchez an, beschimpften sich heftig und gingen schließlich beleidigt auseinander. Das Duell wirkte wie eine bewusst inszenierte Parodie der Krise, in der das Zweiparteiensystem seit Jahren steckt.

Denn Korruption und Vetternwirtschaft zeichneten von Anfang an die sich abwechselnden Regierungen der Sozialisten und der Volkspartei aus. Sobald eine der beiden Parteien an die Macht gewählt wurde, bediente sie sich und ihre Klientel nach dem gierigen „The winner takes it all“-Prinzip. Möglich machte das auch die tiefe Spaltung der Bevölkerung in rechts und links, jene polarisierende politische Kategorie, die Bürgerkrieg und Franco-Diktatur überlebt hatte. Da es ja darum ging, den Erzfeind möglichst zu schwächen, holte man an der Macht so viel wie möglich für sich und seine Klientel heraus.

Die Wirtschaftskrise war auch eine Folge dieser jahrzehntelangen Misswirtschaft, etwa im öffentlichen Bausektor. Und sie hat tiefe Gräben in das System gerissen: Die zunehmend mittellosen Spanier haben kein Verständnis mehr dafür, dass Steuergelder in den privaten Taschen von Rajoys Leuten oder EU-Fördermittel auf Privatkontos der Sozialisten verschwinden. Auf die Nerven geht ihnen auch der althergebrachte Machismo, der den politischen Tenor prägt: etwa Rajoys sture Haltung gegenüber den separatistischen Katalanen, die letztlich nur in eine Sackgasse geführt hat. Wenig nützt es, dass die Wirtschaft wieder anspringt.

Vom Frust über das Establishment profitierten die linksradikalen Populisten von Podemos. Zu erwarten, dass sich die Utopisten über Nacht in pragmatische Großkoalitionäre verwandeln, ist naiv. Wünschenswert wäre aber, dass das Erstarken von Podemos die Großparteien aus ihrer Post-Franco-Starre weckt: Notwendig ist nicht nur der lang erwartete Generationswechsel an der Spitze, sondern vor allem eine Bereitschaft zu Dialog und Kooperation: Der Bürgerkrieg ist nämlich schon lang zu Ende. Aber Probleme hat Spanien noch genug.

susanna.bastaroli@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2015)

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