Von Coca-Cola bis Pfizer: US-Konzerne ziehen aus Amerika ab

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Konzerne und Wall Street nutzen den Volkszorn, um für eine Steueramnestie zu lobbyieren.

Washington. 35 Prozent: Keine Industrienation im Klub der OECD-Staaten hat einen höheren nominellen Konzernsteuersatz als die USA. Wenn man diverse zusätzliche Steuern von Gemeinden und Teilstaaten dazurechnet, kommen manche US-Konzerne auf einen Steuersatz von 40 Prozent und mehr.

Das hat zu einer Welle an Abwanderungen von amerikanischen Paradeunternehmen geführt, die in der jüngsten Vergangenheit zu einer angeregten öffentlichen Debatte über Unternehmenspatriotismus und Steuergerechtigkeit geführt hat. „Total unamerikanisch“ nannte beispielsweise das „Fortune“-Magazine im Sommer 2014 die zusehends beliebte Praxis der „Tax Inversion“, Präsident Barack Obama kritisierte dieses Tun als „unpatriotisch“. Im Rahmen dieser Steuerumkehrung kauft ein US-Konzern ein kleineres Unternehmen in einem Land mit niedrigen Konzernsteuern und verlagert seinen Sitz dorthin. Allerdings wird der sich daraus ergebende Konzern weiterhin von Büros in den Vereinigten Staaten gelenkt. Die Konzerngewinne jedoch werden fortan im Ausland versteuert – zu winzigen Steuersätzen.

Auswanderungswelle

Seit den 1980er-Jahre haben mehr als 70 US-Konzerne Amerika steuerlich den Rücken gekehrt. Mehr als die Hälfte von ihnen tat das in den vergangenen zehn Jahren, und ihre Namen sind auch wirtschaftlich nicht besonders interessierten Zeitgenossen geläufig. Der Pharmakonzern Pfizer, bekannt als Hersteller des Potenzmittels Viagra, kündigte im November vorigen Jahres an, um rund 160 Milliarden Dollar (147 Milliarden Euro) den in Irland ansässigen Konzern Allergan zu übernehmen; Allergan stellt unter anderem das in der Schönheitschirurgie verwendete Mittel Botox her. Als „total widerlich“ geißelte der Baumilliardär Donald Trump, der derzeit in den Meinungsumfragen führende republikanische Präsidentschaftskandidat, diese Entscheidung Pfizers. Ebenfalls im vergangenen Jahr gab Coca-Cola Enterprises, der weltgrößte Abfüller der zuckrigen Limonaden gleichen Namens, seinen Umzug von Atlanta im US-Teilstaat Georgia nach London bekannt. Auch dies ist eine Tax Inversion, die im Zug einer komplizierten konzerninternen Zusammenlegung mit den deutschen und iberischen Cola-Abfüllern vollzogen wurde. Besonders erstaunlich ist die Anfang dieser Woche verkündete Entscheidung des Autozulieferers Johnson Control, im Zug einer Tax Inversion von Milwaukee nach Irland abzuwandern. In den Jahren 1992 bis 2009 hat Johnson Control laut „New York Times“ mindestens 149 Millionen Dollar an Steuerzuckerln erhalten.

2,6 Bio. Dollar harren der Heimkehr

All diese Entscheidungen wurden mit der eingangs erwähnten hohen nominellen Konzernbesteuerung in den USA begründet. Doch die tatsächliche Steuerlast für amerikanische Konzerne ist deutlich niedriger: 13 Prozent betrug sie im Jahr 2010 laut einer Studie des Government Accountability Office, das für den US-Kongress die Steuer- und Budgetpolitik analysiert. Das liegt vor allem daran, dass die Konzerne für ihre im Ausland erzielten Gewinne in den USA so lang keine Steuern zahlen müssen, wie sie sie nicht heimführen, vor allem als Dividenden.

Das erklärt, wieso Wall-Street-Investoren wie Carl Icahn fordern, diese derzeit rund 2,6 Billionen Dollar an gebunkerten Auslandsgewinnen mit einer Einmalsteuer von acht bis zehn Prozent zurückzuholen – was de facto eine Steueramnestie wäre. Denn angesichts der jüngst von der Federal Reserve verkündeten Zinswende würde dieses Geld in den USA höhere Renditen abwerfen.

Obama hat 2015 zumindest den extremsten Formen der Steuerumkehr einen Riegel vorgeschoben. US-Konzerne dürfen nur dann eine Tax Inversion durchführen, wenn sie weniger als 60 Prozent des übernommenen ausländischen Unternehmens besitzen. Hillary Clinton, die demokratische Präsidentschaftskandidatin, möchte noch weiter gehen: Sie schlägt eine „Fluchtsteuer“ vor. Wie hoch die allerdings sein soll und ob sie sich in einem von den Republikanern dominierten Kongress umsetzen lässt, ist fraglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

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