Aschenputtel, Nutte und Sekretärin

Strumpfband einer Braut
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Über literarische Treppenheiraten: Früher heirateten Frauen zum Prinzen "hinauf", später zum reichen Geschäftsmann. Männliche "Aschenputtel" sind selten.

Millionen von Kindern kennen heute noch die Geschichte vom Aschenputtel, auch wenn das Märchen fast nur noch unter dem von der Disney-Industrie verbreiteten Titel „Cinderella“ kursiert. Es gehört zu den Urgeschichten einer Treppenheirat, bei der das Mädchen eine oder mehrere Stufen hinaufsteigt, zum liebenden Prinzen oder sonst einem ständisch höherstehenden männlichen Wesen.

Was früher ein Prinz war, ist heute vorzugsweise ein reicher Geschäftsmann – etwa im Film „Pretty Woman“ oder im Roman „Fifty Shades of Grey“. Und die Frau kann wie in „Pretty Woman“ eine Prostituierte sein (Dumas' Roman „Die Kameliendame“ lässt grüßen), oder auch ein junges Mädchen mit brotlosem Literaturstudium, wie in „Fifty Shades of Grey“.


Von Schiller zur Schmonzette. Aber die zwei Beispiele sind typisch: Die (versuchte) Mesalliance, die vor zwei Jahrhunderten noch Thema großer Schriftsteller wie Lessing oder Schiller war, ist aus der anspruchsvollen Literatur so gut wie verschwunden, im selben Maß, wie sie als gesellschaftliches Problem verschwunden ist. Am ehesten findet man sie noch in Schmudel-Romanen oder seichten Filmkomödien wie „Tatsächlich . . . Liebe“ (in der sich Hugh Grant als britischer Premier in seine Sekretärin verliebt). Da überlebt sie noch, die Romantik der Liebe über Standesgrenzen hinweg. Dabei war sie lange Zeit auch in der „hohen“ Literatur der Inbegriff von Romantik schlechthin.

In der großen Literatur endete sie meist tragisch. „Du, Luise, und ich und die Liebe! – Liegt nicht in diesem Zirkel der ganze Himmel? Oder brauchst du noch etwas Viertes dazu?“ Die reine Liebe zwischen der Musikertochter Luise Miller und dem jungen Adeligen Ferdinand von Walter kann sich in Schillers „Kabale und Liebe“ nicht gegen die Intrigen der Gesellschaft behaupten. Die Liebesheirat war noch ein gesellschaftlicher Skandal, Adel und Bürgertum gehörten nun einmal nicht zusammen, und die Ehe war in erster Linie als Wirtschafts- und Fortpflanzungsgemeinschaft konzipiert. Ob in Schillers „Kabale und Liebe“, Lessings „Emilia Galotti“, Samuel Richardsons „Pamela“, Rousseaus „Nouvelle Héloïse“ – die Liebe über Standesgrenzen hinweg verkörperte die Rebellion der bürgerlichen Werte gegen Adel und Tyrannei. Sie gehörte seit dem 18. Jahrhundert zu den beliebtesten Themen der Literatur.

Real war sie zum Teil möglich, aber schwierig. Um die Zeit des Erscheinens von „Kabale und Liebe“ herum verbot etwa das Preußische Landrecht Ehen zwischen adeligen Männern und „niederen“ Bürgerstöchtern, aber nicht die Ehen mit Kaufmanns- oder mit Beamtentöchtern.

Noch bei Schnitzler bleiben die Schichten letztendlich unter sich – Affären hat der Bürgersmann zwar mit dem „süßen Mädel“, geheiratet wird aber standesgemäß. Im 20. Jahrhundert wurden die Stände immer durchlässiger, aber die typische Treppenheirat erfolgte immer noch zwischen einem sozial höhergestellten Mann und einer sozial tiefer stehenden Frau. Hinter diesem Stoff für Romantik standen handfeste weibliche Interessen. Die Heirat hinauf war für viele Frauen immer noch die einzige Chance, sozial und finanziell aufzusteigen.


Lüsterne Lady schnappt Gigolo. Mit den literarischen Treppenheiraten ist es ziemlich vorbei, seit Frauen finanziell unabhängig sein können. Der umgekehrte Fall – reiche Frau nimmt armen Mann – hat nie richtig Einzug in die Literatur gehalten. Wenn, hatte es meist einen anrüchigen Beigeschmack (ältere lüsterne Lady nimmt sich hübschen Gigolo). Und man hat den Eindruck, es ist immer noch etwas peinlich – es sei denn, der Mann absolviert seine Rolle so charmant wie Hugh Grant im Film „Notting Hill“, und man weiß: Es ist ja doch nur ein Märchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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