Athen und die internationalen Geldgeber streiten über Reserve-Sparpaket und Schuldenerlass. Gibt es bis Juli keine Einigung, droht – wieder einmal – der Grexit.
Brüssel. Wer angesichts der jüngsten Ereignisse rund um Griechenland ein Déjà-vu-Erlebnis haben sollte, liegt nicht gänzlich daneben: Wieder einmal geht es darum, ob das verschuldete Mitglied der Eurozone in der Lage sein wird, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Und wieder einmal ist nicht klar, wie die griechische Regierung die vereinbarten Sparziele erreichen kann – bzw. ob es diese Ziele überhaupt erreichen will. Zum letzten Akt der Eurokrise vor genau einem Jahr gibt es allerdings einen Unterschied: Vorerst wird es in Brüssel keinen Sondergipfel zu Griechenland geben.
Griechenlands Premierminister, Alexis Tsipras, ist mit seinem Wunsch nach einem außerplanmäßigen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone bei Ratspräsident Donald Tusk abgeblitzt. „Ich bin überzeugt, dass es für die Finanzminister noch Arbeit zu erledigen gibt“, teilte Tusk gestern mit. Diese hätten ursprünglich am heutigen Donnerstag weiter beraten sollen, doch die kurzfristig eingeschobene Zusammenkunft wurde vom Euro-Gruppen-Chef, Jeroen Dijsselbloem, abgesagt – weil noch zu viele Fragen offen seien. Das Treffen soll aber in einigen Tagen nachgeholt werden.
2,2 Mrd. Euro für die EZB
Griechenland und seine Gläubiger hatten sich im Juli 2015 auf ein drittes, 86 Mrd. Euro umfassendes Hilfspaket geeinigt. Dessen erste Tranche von 13 Mrd. wurde gleich nach Athen überwiesen, doch dieses Geld reicht nur bis Juli – und dann werden Kredittranchen von insgesamt knapp drei Milliarden Euro fällig, die Griechenland nicht ohne Hilfe seiner Geldgeber begleichen kann. Das größte Problem ist dabei die für 20. Juli angesetzte Rückzahlung von 2,2 Mrd. Euro an die EZB. Erhält die Zentralbank das Geld nicht, müsste sie Griechenland vom Geldsystem der Eurozone abschneiden – das Land müsste auf eine eigene Währung umstellen.
Gefeilscht wird derzeit um ein rund drei Mrd. Euro schweres Sparpaket, das Athen prophylaktisch schnüren soll – für den Fall, dass man 2018 nicht wie vereinbart einen primären Budgetüberschuss von 3,5 Prozent des BIPs ausweist. Tsipras hingegen will keine konkreten Einsparungen beschließen, sondern notfalls alle Staatsausgaben quer durch die Bank kürzen – was den Geldgebern nicht konkret genug ist. Das eigentliche Problem ist allerdings die griechische Staatsverschuldung von derzeit knapp 180 Prozent der Wirtschaftsleistung: Sowohl Athen als auch der Währungsfonds drängen auf eine Entschuldung Griechenlands – der IWF macht davon sogar seine Teilnahme am dritten Hilfspaket, die noch immer nicht fix ist, abhängig. In Brüssel heißt es dazu, über einen Schuldenschnitt könne erst geredet werden, wenn Athen die Sparpläne fixiert habe und die Auszahlung der nächsten Tranche der Hilfskredite vereinbart sei.
Den heftigsten Widerstand dagegen gibt es in Deutschland. Finanzminister Wolfgang Schäuble stellte zuletzt die Notwendigkeit einer Entlastung Griechenlands generell infrage: Schuldenerleichterungen seien „für die nächsten Jahre“ nicht notwendig, er sei aber grundsätzlich gesprächsbereit, ließ Schäuble am Rande des jüngsten Finanzministertreffens wissen.
Wie stark Schäubles Verhandlungsposition in dieser Frage ist, ist allerdings nicht klar – denn als Voraussetzung für die Griechenland-Hilfen sieht Berlin die Teilnahme des Währungsfonds. Experten des IWF halten jedoch eine massive Reduktion der Schuldenlast für unumgänglich, weil Griechenland sonst niemals in der Lage sein werde, finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Machte der IWF seine Teilnahme von einem Schuldenschnitt abhängig, stünde Deutschland vor einer schweren Entscheidung: entweder weitermachen wie bisher, aber ohne den Fonds, oder einen Teil der Kredite aus den deutschen Büchern streichen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2016)