Demografie. Die Türkei hat mit einem Altersdurchschnitt von 29,2 Jahren eine junge Bevölkerung. Im Westen bremst sich das Wachstum ein.
Ankara/Wien. In der Debatte über einen möglichen EU-Beitritt wird oft auf ein Faktum verwiesen, das große europäische Länder das Fürchten lehrt: Die Türkei könnte in wenigen Jahren mehr Einwohner als Deutschland, das derzeit größte EU-Land, zählen. Allein von 1970 bis 2014 hat sich die Bevölkerung verdoppelt. Zuletzt erreichte die Türkei 78,2 Millionen Einwohner. Aus einem relativ kleinen Land, das 1923 gegründet worden ist und damals rund 13 Millionen gezählt hat, ist eine Großmacht geworden.
Dazu kommt, dass sich die Altersstruktur deutlich von jener der EU unterscheidet. Die türkische Bevölkerung hat einen Altersdurchschnitt von lediglich 29,2 Jahren, ein Viertel der Einwohner ist noch keine 14 Jahre, 67 Prozent sind zwischen 15 und 54 Jahren alt. Das Durchschnittsalter in der EU liegt hingegen bei über 42 Jahren. Durch diese junge Bevölkerung verfügt die Türkei auch in den nächsten Jahrzehnten über einen deutlich höheren Anteil an Personen im arbeitsfähigen Alter als jedes EU-Mitglied. Junge Arbeitskräfte wirken normalerweise für eine Wirtschaft stimulierend. Gleichzeitig sind sie eine Herausforderung für die Schaffung von immer mehr neuen Arbeitsplätzen. Allein zwischen den Jahren 2000 und 2013 wurden sechs Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Doch nicht genug: Derzeit erreicht die Arbeitslosigkeit in der Türkei zehn Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist sogar doppelt so hoch.
Allerdings hat sich das Wachstum der Bevölkerung bereits eingebremst: Von einem jährlichen Plus von 2,5 Prozent in den Achtzigerjahren ist es auf nur noch 1,3 Prozent im vergangenen Jahr gesunken. Und hier werden auch die negativen Teile der demografischen Entwicklung deutlich. Während im ärmeren Osten des Landes die Geburtenrate nach wie vor hoch ist, sinkt sie in den besser entwickelten Teilen in und rund um Istanbul. Dieses Auseinanderklaffen geht auch mit einer Bildungsschere einher. Denn im Westen steigt das Bildungsniveau, während es beispielsweise in Südostanatolien noch immer äußerst gering ist. Laut dem Institut für Bevölkerungsstudien in Ankara lag hier die Analphabetenrate im Jahr 2006 bei rund 20 Prozent.
Die große Wohlstands- und Bildungskluft ist auch dafür verantwortlich, dass die Gesundheitsdaten unter dem EU-Niveau liegen. Die Lebenserwartung der Türken ist deutlich geringer als im EU-Schnitt. Derzeit werden Männer im Durchschnitt 70,6, Frauen 75,7 Jahre alt, in der EU liegt die Lebenserwartung bereits bei über 80 Jahren. (red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)