Fast 200 Millionen Einbußen für die Bundeshauptstadt bei Beteiligungen. Gipfel auf Bundesebene zu den Spekulationsgeschäften überschattet. Kanzler Faymanns Offensive gegen ÖVP-Finanzminister gestört.
WIEN. Ausgerechnet vor dem Gipfeltreffen, zu dem Bundeskanzler Werner Faymann heute, Freitag, ins Kanzleramt geladen hat, um staatliche Spekulationsgeschäfte einzudämmen, rücken jetzt auch die Aktivitäten, Veranlagungen und Geschäfte der Bundesländer mit einem Schlag noch mehr in den Mittelpunkt. Der jüngste Anlass: Der Rechnungsabschluss der Stadt Wien für das Jahr 2008 belegt, dass auch die SPÖ-geführte Stadt durch Wertfall bei ihrem Aktienbesitz fast 198,4 Millionen Euro eingebüßt hat.
Auch die Länder unter der Lupe
Während sich die SPÖ und Regierungschef Faymann wegen drohender Verluste durch riskante Veranlagungen der Bundesfinanzierungsagentur (ÖFBA) vor allem auf das von der ÖVP geführte Finanzministerium eingeschossen haben, war bereits zuletzt bekannt geworden, dass Spekulationsgeschäfte in Bundesländern, die von SPÖ oder ÖVP dominiert werden, wie Salzburg oder Niederösterreich, aber auch im BZÖ-geführten Kärnten kein Einzelfall waren. Finanzminister VP-Obmann Josef Pröll hat deswegen verlangt, dass auch die Anlageaktivitäten der Länder unter die Lupe genommen werden müssen.
Die Stadt Wien verteidigt sich allerdings, dass die nun bekannt gewordenen Einbußen aufgrund des Wertverfalls nicht mit den Risikogeschäften des Bundes verglichen werden könnten. Die Verluste seien nur eine Kursberichtigung der Beteiligung der Stadt am Wiener Flughafen. Das sei eine strategische Beteiligung seit den 50er-Jahren, die „sicher nicht“ verkauft werde, so ein Brauner-Sprecher: „Spekulationsverluste wie bei der Finanzierungsagentur der Republik (380 Millionen Euro Verlust, Anm.) gibt es in Wien nicht.“ Warum? Man habe nicht in Aktien oder Fonds investiert; außerdem habe der Rechnungshof das Schuldenmanagement der Stadt positiv hervorgehoben. SPÖ-Landesparteisekretär Christian Deutsch und Klubchef Siegi Lindenmayr assistierten: „Die Stadt Wien spekuliert nicht.“
Für Kanzler Faymann sind politisch die Folgen der Verluste in Wien dennoch unangenehm. Der SPÖ-Vorsitzende ist seit der Niederlage bei der EU-Wahl Anfang Juni innerparteilich zusehends unter Druck geraten und kämpft gerade wegen des Kompromisses mit der ÖVP über eine Sparvariante bei der Mindestsicherung parteiintern mit neuem Gegenwind aus den Bundesländern.
Seine intensiven Bestrebungen, das „Zocken“ mit Steuergeld der Österreicher möglichst zu unterbinden, waren deswegen vor allem auch als Entlastungsoffensive für die Kanzlerpartei vorgesehen. Finanzminister Pröll sowie seine Vorgänger Wilhelm Molterer, der als künftiger EU-Kommissar im Gespräch ist, und Karl-Heinz Grasser sollten dabei politisch ramponiert werden.
An die vorderste Front im Kampf gegen riskante Spekulationgsgeschäfte mit Steuergeld hat sich zuletzt auch Wiens Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Häupl gestellt. Dieser hat sogar nach dem Einschreiten der Staatsanwaltschaft gerufen.
Neue Risikovorgaben
Fix ist jedenfalls bereits vor dem heutigen „Spekulationsgipfel“ im Kanzleramt, dass die Regeln für Veranlagungen verschärft werden und die Kontrolle ausgebaut werden sollen. Erste Weichenstellungen sind von der Bundesregierung bereits beim Ministerrat am vergangenen Dienstag vorgenommen worden, nachdem auch der Rechnungshof Schwachstellen bei der Veranlagung öffentlicher Mittel aufgezeigt hat.
Demnach sollen „Vorsichtsgrundsätze“ mit „klaren Risikovorgaben“ für die Veranlagungen definiert werden. Außerdem dürfe die Aufnahme liquider Mittel durch die öffentliche Hand ausschließlich zur Abwicklung erforderlicher Zahlungen – mit einem bestimmten Liquiditätspolster – erfolgen. Dieses Liquiditätslimit solle nach dem geplanten Maßnahmenkatalog bei maximal einem Drittel des jährlichen Finanzierungsbedarfs liegen.
Nach dem heutigen Gipfel ist vorgesehen, dass bis zum Herbst detaillierte Maßnahmen ausgearbeitet werden. Dafür wurde auch eine eigene Expertengruppe unter der Leitung des Wiener Wirtschaftsuniprofessors Stefan Pichler eingesetzt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2009)