Wo Attentate zum Alltag gehören

Inferno im Herzen Bagdads. Ein Attentäter des sogenannten Islamischen Staates (IS) ermordete in der irakischen Hauptstadt mehr als 200 Personen. Er sprengte sich in einem Einkaufsviertel in die Luft, das nach dem Ramadan-Fastenbrechen mit Menschen überfüllt war.
Inferno im Herzen Bagdads. Ein Attentäter des sogenannten Islamischen Staates (IS) ermordete in der irakischen Hauptstadt mehr als 200 Personen. Er sprengte sich in einem Einkaufsviertel in die Luft, das nach dem Ramadan-Fastenbrechen mit Menschen überfüllt war.(c) REUTERS (KHALID AL-MOUSILY)
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Obwohl nun in Bagdad auf einen Schlag mehr als 200 Menschen ermordet wurden, ist das Echo des Entsetzens in Europa weit geringer als nach den Anschlägen in Brüssel und Paris.

Es war eine Atmosphäre aus Trauer, Wut und blankem Entsetzen, die über Iraks Hauptstadt Bagdad lag. Stündlich erhöhte sich nach dem blutigen Attentat vom Wochenende die Zahl der Opfer, bis Iraks Behörden am Montag eine erste schauerliche Bilanz zogen: Mehr als 200 Menschen sind bei dem jüngsten Anschlag auf das Stadtviertel Karrada ums Leben gekommen. Ein Selbstmordattentäter hatte sich in einem mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug in die Luft gejagt – inmitten der überfüllten Einkaufszone, in der gerade unzählige Menschen nach dem Ramadan-Fastenbrechen am späten Abend unterwegs waren. In Karrada leben Mitglieder verschiedenster Religionsgruppen. Die Mehrheit der Bevölkerung sind aber Schiiten – Angehörige der zweiten großen Richtung des Islam. Von den Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) werden die Schiiten als „Abtrünnige“ beschimpft und als ein Hauptziel der IS-Vernichtungsfantasien ins Visier genommen.

Als Reaktion auf das Attentat verlangt Premier Haidar al-Abadi ein neues Sicherheitskonzept: So soll die Koordination zwischen Polizei- und Militäreinheiten verbessert werden. Den Soldaten an den Kontrollposten ist nun das Telefonieren mit Handys während ihres Dienstes untersagt. Und nach wie vor im Einsatz befindliche Geräte zum Aufspüren von Sprengstoff, die sich längst als unbrauchbar erwiesen haben, sollen endgültig aus dem Verkehr gezogen werden.

Inwieweit diese Maßnahmen Anschläge wie den vom Wochenende in Zukunft verhindern, ist unklar. Die Terrorzellen des IS und andere Gruppen im Untergrund sind nicht so einfach auszuschalten. Die Menschen im Irak leben schon lange mit der Angst: erst die Herrschaft Saddam Husseins, dann der US-Einmarsch 2003, der Bürgerkrieg zwischen schiitischen und sunnitischen Milizen, der Terror von al-Qaida im Zweistromland und ihrer Nachfolgeorganisation IS. In Bagdad gehören Attentate und Gewalt seit vielen Jahren zum Alltag – in einem Ausmaß, das man sich in Europa nur schwer vorstellen kann. Doch sogar für eine Stadt, die schon so viel Leid erdulden musste, ist der Anschlag vom Wochenende ein Terrorakt verheerenden Ausmaßes.

Jemen versinkt in Gewalt

Trotz der mehr als 200 Toten in Bagdad blieben die Beileidskundgebungen in Europa bisher eher spärlich gesät – verglichen mit der öffentlichen Fassungslosigkeit angesichts der IS-Attentate in Paris und Brüssel. Ähnliches war schon nach dem jüngsten Blutbad im Atatürk-Flughafen in Istanbul zu bemerken. Auch hier fand das Entsetzen weniger Echo als etwa nach dem Attentat am Brüsseler Flughafen im März.

Abseits des täglichen Tötens im Irak und der Katastrophe in Syrien versinken auch andere Staaten der Region – weitgehend unbemerkt von der europäischen Öffentlichkeit – immer tiefer im Sumpf der Gewalt. Dazu zählt vor allem der Jemen im Süden der Arabischen Halbinsel. Mehrere Tausend Menschen sollen bereits ums Leben gekommen sein, seit eine Militärallianz unter der Führung Saudiarabiens im März 2015 in den Konflikt zwischen Houthi-Rebellen und der Regierung eingegriffen hat. Städtische Infrastruktur, darunter auch Krankenhäuser, wurden durch Kämpfe und saudische Luftschläge gezielt vernichtet.

Das Chaos durch den Machtkampf verleiht dem sogenannten Islamischen Staat auch im Jemen immer mehr Raum für seine Aktionen. Schon in der Vergangenheit hielt die lokale al-Qaida-Filiale das Land mit zahlreichen Attentaten in Atem. Jetzt tun das die Jihadisten vor allem unter dem Banner des IS. Erst vor wenigen Tagen schlugen mehrere Selbstmordattentäter in der Hafenstadt Mukalla zu und töteten mehr als 40 Menschen. Unter den Opfern waren vor allem Soldaten, aber auch Zivilisten.

Taliban tragen Kampf in Städte

Auch die Bewohner der afghanischen Hauptstadt Kabul müssen mit der täglichen Gefahr leben, bei Bombenanschlägen ums Leben zu kommen. Erst am Donnerstag wurde Kabul von zwei heftigen Detonationen erschüttert. Ein Selbstmordattentäter der Extremistenorganisation der Taliban griff einen Polizeikonvoi an. Als die Rettungskräfte am Ort des Attentats eintrafen, jagte sich ein zweiter Attentäter in die Luft. Dutzende Menschen starben. Kämpfer der Taliban sind nicht nur in den ländlichen Gebieten auf dem Vormarsch. Sie tragen ihren Untergrundkampf auch zunehmend in Afghanistans Städte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2016)

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