Österreich hält trotz Taliban-Offensive an Ausbildungsmission fest

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Kämpfer der fundamentalistischen Taliban rücken in Kunduz ein. Die Angriffe kommen zu einem auch für Österreich heiklen Zeitpunkt.

Die Kämpfer der Extremistenorganisation Taliban wählten den Zeitpunkt für ihren Großangriff präzise. Am 7. Oktober 2001 hatten die USA als Antwort auf die Attentate von 9/11 ihren Feldzug in Afghanistan gestartet. Er richtete sich gegen das Terrornetzwerk al-Qaida und dessen Gastgeber, die Taliban, die damals die Hauptstadt Kabul und große Teile des Landes am Hindukusch kontrollierten. Zunächst schien es, als wäre die Zeit der Taliban in Afghanistan ein für allemal beendet. Doch nun – fast genau 15 Jahre später – sind die Milizionäre wieder auf dem Vormarsch. Am Montag schlugen sie gleichzeitig in mehreren Städten des Landes zu. Sie rückten nach Laschkar Gah, die Hauptstadt der südlichen Provinz Helmand, vor und lieferten sich heftige Gefechte mit örtlichen Sicherheitskräften entlang der Straße nach Tarin Kut, der Hauptstadt der Provinz Uruzgan.

Den heftigsten Schlag versetzten die Taliban ihren Gegnern aber im Norden, in der Stadt Kunduz. Schon vor einem Jahr war es den Extremisten gelungen, nach einem Überraschungsangriff Teile von Kunduz vorübergehend in Besitz zu nehmen. Am Montag drangen sie erneut in die nördliche Provinzhauptstadt nahe der Grenze zu Tadschikistan ein. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur Reuters, dass Taliban-Kämpfer den Gouverneurssitz und das Polizeihauptquartier attackierten. Einige lokale Beamte seien zum Flughafen der Stadt geflohen. Die Taliban gaben bekannt, von vier Seiten her in Kunduz eingerückt zu sein.

Österreichische Gebirgskampfexperten

Die Angriffe kommen zu einem auch für Österreich heiklen Zeitpunkt. In zwei Wochen soll die Ausbildungsmission des Bundesheers in Afghanistan auf rund 20 Soldaten aufgestockt werden. Neben den neun Offizieren und Unteroffizieren in der Hauptstadt Kabul wird eine kleine Abordnung in den Norden entsandt, in die Region um Kunduz: Zehn Experten des Heeres sollen dort Afghanen im Gebirgskampf ausbilden. Trotz der jetzigen Angriffe der Taliban hält das Verteidigungsministerium in Wien am Zeitplan fest. Die Mission beginne am 17. Oktober, teilt Sprecher Stefan Hirsch „Der Presse“ mit. Zumal die Österreicher auch nicht direkt in Kunduz stationiert seien, sondern im Hauptquartier der deutschen Bundeswehr in Mazar-e Sharif, 170 Kilometer westlich. Die Gebirgsjäger und die Abordnung in Kabul sind Österreichs Beitrag zur Nato-geführten Trainingsmission Resolute Support, wobei SP-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil es gern sehen würde, wenn der Einsatz mit der Rückführung von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland „verzahnt“ wird.

Am Montag gab auch eine Sprecherin der EU-Kommission bekannt, dass die Union und Afghanistan eine politische Vereinbarung über weitere Schritte im Bereich „irreguläre Einwanderung“ geschlossen hätten. Die EU-Staaten wollen vermehrt Flüchtlinge aus Afghanistan in das Bürgerkriegsland zurückschicken. Details dazu könnten bei der internationalen Afghanistankonferenz geklärt werden, die heute, Dienstag, und morgen, Mittwoch, in Brüssel stattfindet.

Österreichs Bundesheer war auch bereits in Kunduz selbst mit Kontingenten im Einsatz, und zwar 2002/2003 und 2005. Die österreichischen Soldaten unterstützen dabei die deutsche Bundeswehr, die den Raum um Kunduz kontrollierte. Im Gegensatz zu heute zählte Kunduz damals zu den sichereren Gegenden in Afghanistan. 2013 übergab die deutsche Bundeswehr ihr Lager in Kunduz dann an afghanische Kräfte, die seither in der Region für Sicherheit sorgen sollen.

Dass das für die afghanischen Militär- und Polizeieinheiten keine leichte Aufgabe ist, zeigte sich bereits beim Taliban-Angriff auf Kunduz vor einem Jahr. Nur mit US-Luftunterstützung und dem Einsatz von US-Spezialkräften am Boden konnten die Extremisten wieder aus der Stadt vertreiben werden.

Dabei kam es zu einem folgenschweren Zwischenfall: Bei den US-Luftschlägen wurde auch ein von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) unterstütztes Krankenhaus attackiert. 42 Menschen, darunter 14 MSF-Mitarbeiter, wurden getötet. Jetzt, mit der neuen Taliban-Offensive, wird in Kunduz wieder gekämpft und gestorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2016)

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