Abschied von der Thujenhecke

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Jahrzehntelang waren Thujenhecke, gestutzter Rasen und drapierte Buchsbäumchen der Inbegriff des österreichischen Gartens. Doch nun werden die heimischen Gartenbesitzer experimentierfreudiger. Ein bisschen zumindest.

Österreich, ein Gartenland? Wer die monotonen Grünflächen in den Siedlungen des Speckgürtels rund um Wien betrachtet, kann seine Zweifel daran haben: Von Wien bis ins spanische Madrid, 1800 Kilometer, würden allein die Thujenhecken in Niederösterreich reichen, reihte man sie aneinander. Das hat die Umweltberatung Niederösterreich noch vor zehn Jahren berechnet.

Die Thuje, ein passendes Symbol einer darniederliegenden Gartenkultur in Österreich: Düster-dichte, immergrüne Hecken, die fremde Blicke aus dem eigenen Garten aussperren, eine blütenlose Mauer, an der sich keine Insekten ernähren, kein Leben gedeihen kann.

„Die Natur war der Feind, der Gegner, der bekämpft, ausgelöscht werden musste“, hat die Musikwissenschaftlerin Irene Suchy in einem autobiografischen Text über die Beziehung der Österreicher zu ihren Gärten geschrieben – eine treffende Charakterisierung eines Landes, das den apart gemähten Rasen, Geranienbeete und gestutzte Buchse jahrzehntelang als Gipfel der Gartenkunst betrachtet hat.


Die neue Lust am »Garteln«. Wer in den vergangenen Tagen über die internationale Gartenbaumesse in Tulln spaziert ist (sie hat noch bis morgen, Montag, geöffnet), bemerkt aber, dass sich dieses triste Bild geändert hat: Da stehen Gartenfachleute aus dem ganzen Land vor internationalem Publikum und verkünden vollmundig, dass Österreich sich in den vergangenen zehn Jahren zum wichtigsten Gartenparadies Europas gewandelt habe – in einer Liga gar mit England oder Frankreich. Da stellen sich hunderte Gäste an, unterhalten sich mit den Gartenexperten, holen sich Anregungen und diskutieren über die beste Art, das eigene Grün, egal, ob Garten oder nur Balkon, zu gestalten.

Erst lesen, dann wühlen. „Es hat einen massiven Umschwung in der Einstellung der Leute zum Garten gegeben“, sagt Reinhard Kittenberger, seit mehr als 25 Jahren Gärtner, der ebenfalls seinen Erlebnisgarten-Vorführstand auf der Tullner Messe aufgebaut hat. „Die Kunden heute investieren viel Zeit“, bestätigt Nikolaus Thaller, Geschäftsführer der Bellaflora Gartencenter. „Sie sind professionell informiert.“

Und wollen daher am liebsten selbst anpacken – und sich die Hände schmutzig machen. Früher, erinnert sich Kittenberger, „haben uns die Kunden machen lassen“, heute wüssten die Menschen genau, „was sie wollen“.

Man sehnt sich nach dem Gartenerlebnis, nach dem Echten, Natürlichen: „Alles Handwerkliche übt derzeit eine starke Faszination auf die Menschen aus“, sagt Kittenberger – ob es nun das eigene Gemüse sei oder pflegebedürftige Pflanzen wie Rosen, nach wie vor die Lieblingspflanze der Österreicher: Den Gartenfreunden sei die direkte Interaktion mit ihrem Stück Natur wichtig.

Einen Boom gibt es nicht nur in der Gartenkultur, sondern auch in der Literatur, die offenbar studiert werden muss, bevor man eigenhändig das Grün anpacken kann: Bücher, Magazine und TV-Reportagen über die Grüngestaltung sind heute fast ebenso beliebt wie die Pflanzen selbst. Tatsächlich lässt sich – auch abseits der Vorzeigegärten in den boomenden Gartenschauen – beobachten, dass die österreichischen Gärten in den letzten Jahren immer vielfältiger geworden sind: Vom Naturgarten über gestalterische Blickfänge wie Kräuterspirale oder Biotop bis hin zum wild wuchernden Blüten- und gar Gemüsebalkon reicht das Spektrum. Wobei eine eindeutige Charakterisierung des „neuen österreichischen Gartens“ schwer fällt. Denn er ist eben sehr vielgestaltig.

Man bemerke, erzählt Bellaflora-Geschäftsführer Thaller, einen Trend zum „essbaren Garten“: „Man geht dazu über, Pflanzen anzubauen, die man essen kann.“ Himbeeren, Stachelbeeren, Heidelbeeren, also „Naschobst“ für Terrasse oder den begrünten Balkon im Hinterhaus – teils als Zwergformen im Terracottakübel –, seien ein „Riesenrenner“, sagt Thaller.

Dabei steht für die meisten Hobbygärtner nicht die Ernte (bzw. Einkochen) im großen Stil im Vordergrund. „Es geht um das positive Gefühl bei der Jause: Diese Produkte habe ich selbst gesteuert.“ Bioerde und Biodünger runden das Wohlfühlgärtnern ab. „Dieses bewusste Garteln gewinnt an Bedeutung“, ist sich Thaler sicher.

Sperrte man noch vor Kurzem die Natur quasi aus dem Garten aus – erlaubt war nur ein akkurat geschnittener Rasen, umrandet von der kerzengeraden Hecke, vielleicht da und dort ein Rosenstrauch als dekorativer Farbtupfer – ist jetzt ein (kontrolliertes) Wuchern des Grüns durchaus erwünscht. Ein „Naturgarten“ soll es heute bitte schon sein!
Privatheit ohne Thujenhecke. Ein weiterer Trend sei ein Bedürfnis nach Abgeschiedenheit, nach Privatheit: „Die offenen Designergärten, die aus nicht viel mehr als zwei Buchskugeln bestanden haben, sind nicht mehr Mainstream“, so Kittenberger. „Hecken sind wieder im Kommen“, pflichtet ihm Elisabeth Koppensteiner, Gartenberaterin der niederösterreichischen Umweltberatung bei: „Die Leute kommunizieren heute so viel, da wollen sie sich einfach ein paar Stunden im Garten abschotten können.“ Also ein Comeback der Thujen? Eine Gefahr, wieder ins „Einkasteln“ (Thaller) der vergangenen Jahrzehnte zurückzufallen?

„Nein“, erklären die Gartenplaner unisono – gefragt seien heute „blühende“, lebendige Hecken, die nicht nur Sichtschutz, sondern auch Naturerlebnis bieten. Zwischen deren Hainbuchen oder Holundern sich auch allerlei Nützlinge einfinden könnten.

Die hätten zwar im Gegensatz zur Thuje den Nachteil, dass sie im Winter ihre Blätter verlieren. „Aber“, sagt Koppensteiner, „da geht man ohnehin nicht in den Garten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2009)

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