VfGH: Missbrauch bei Wahl ausschließen

�FFENTLICHE VFGH-VERHANDLUNG ZUR BP-WAHL-ANFECHTUNG: HOLZINGER
�FFENTLICHE VFGH-VERHANDLUNG ZUR BP-WAHL-ANFECHTUNG: HOLZINGER(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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In seinem gestern im Volltext veröffentlichten Erkenntnis erklärt der Verfassungs- gerichtshof, wieso die theoretische Möglichkeit einer Wahlbeeinflussung zur Aufhebung genügt.

Wien. Verfassungsgerichtshof-Präsident Gerhart Holzinger hat nicht zu viel versprochen. Als er am 1. Juli mündlich bekannt gab, dass der Gerichtshof auf Antrag der FPÖ die Stichwahl ums Präsidentenamt zur Gänze aufhebt, kündigte er an, dass auch die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses rasch erfolgen werde. Gestern, nicht einmal zwei Wochen, nachdem die Entscheidung gefallen ist, war sie auch schriftlich da.

Als würde der Gerichtshof auf manche mittlerweile geäußerte Kritik antworten, begründet der Gerichtshof ausführlich, warum er bei seiner strengen Reaktion auf Verstöße gegen Formvorschriften bleibt. Nach seiner schon 1927 geprägten und seither beibehaltenen Judikatur genügt es für die Aufhebung einer Wahl, wenn wichtige Bestimmungen des Wahlrechts verletzt wurden und das Ergebnis dadurch beeinflusst werden konnte. Kritiker – und auch die Vertreter des zunächst siegreichen Kandidaten Alexander Van der Bellen im Verfahren – meinten, der aktuelle Fall sei von den bisherigen zu unterscheiden. Denn das ausführliche Beweisverfahren hat ja, wie auch der VfGH in Randzahl 506 seines 175 Seiten langen Erkenntnisses W I 6/2016 betont, keine Anhaltspunkte für tatsächliche Manipulationen ergeben.

Nachweis selten möglich

Für den Gerichtshof ist das aber kein Grund, von seiner Linie abzuweichen. „Sie beruht auf dem Grundgedanken, dass es dem Einzelnen nur in den seltensten Fällen möglich sein wird, einen konkreten Missbrauch durch die Verletzung von das Wahlverfahren regelnden Rechtsvorschriften im Einzelfall nachzuweisen.“ Diese Vorschriften „sollen garantieren, dass ein solcher Missbrauch von vornherein nicht möglich ist“.

Dahinter steht die Überlegung, dass Wahlen die politische Macht der Regierenden begrenzen „und diese – wie die historische Erfahrung und Vorgänge in anderen Ländern ohne funktionierende Demokratie zeigen – versucht sein könnten, mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel Wahlergebnisse zu manipulieren“, so der VfGH. „Auch in einer stabilen Demokratie sichert die genaue Einhaltung von Wahlvorschriften das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Wahlen und damit (. . .) in eines der Fundamente des Staates.“ Diese Argumentation verbietet es laut VfGH, „auf die Wahrscheinlichkeit von Manipulationen oder Missbräuchen nach der allgemeinen Lebenserfahrung abzustellen.“

Der Gerichtshof listet penibel auf, in welchen Bezirken welche Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, und zwar in 14 der von den Freiheitlichen ins Visier genommenen 20 Wahlbezirken. Schon die Öffnung von Wahlkarten außerhalb der dazu berufenen Bezirkswahlbehörden ist laut VfGH jedenfalls unzulässig, erst recht aber – und auch das kam vor (z. B. im Stimmbezirk Südoststeiermark) – die Auszählung.

53.738 mehr für Norbert Hofer?

Die Höchstrichter räumen ein, dass in den Fällen Bregenz, Kufstein und Reutte nicht genau feststellbar sei, wie viele Stimmen von den Rechtswidrigkeiten betroffen waren. Fest steht, dass es in Summe mehr als 77.769 gewesen waren. Und dass diese Zahl jedenfalls groß genug ist, um das Wahlergebnis beeinflussen zu können. Zieht man nämlich von den für Norbert Hofer und Van der Bellen ermittelten Resultaten die Stimmen aus den Problembezirken ab und rechnet man alle rechtswidrig erfassten Stimmen fiktiv ausschließlich Hofer zu, so läge der Freiheitliche um 53.738 Stimmen voran.

Die schriftliche Ausfertigung gibt auch Aufschluss über andere Entscheidungsgründe, als Holzinger am 1. Juli angesprochen hat: Er erwähnte neben den Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Stichwahl vor allem die vorzeitige Weitergabe von Teilergebnissen durch das Innenministerium, und er erklärte, warum die Briefwahl an sich nicht den Grundprinzipien der Verfassung widerspricht. Schließlich führte er auch aus, warum weder die Wahl bloß in den Problembezirken noch lediglich die Briefwahl aufgehoben werden konnte: Auf diese Weise hätten weder unerwünschte Doppelstimmen noch der Ausschluss einzelner Personen von der Wahl verlässlich verhindert werden können.

Was also blieb der Schriftform vorbehalten? Zum Beispiel die vom FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer beanstandete Kürze der Anfechtungsfrist (eine Woche). Der VfGH sieht darin kein Problem, weil die Wahlwerber über die von ihnen entsandten Beisitzer oder Vertrauenspersonen schon vor der Verlautbarung des Wahlergebnisses – und damit vor Beginn der Frist – die nötigen Informationen über Unregelmäßigkeiten erhalten könnten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2016)

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