Kern gegen Schelling, Mitterlehner gegen Kern

Austria´s Chancellor Kern shakes hands with Finance Minister Schelling behind Vice Chancellor Mitterlehner as they arrive in the parliament in Vienna
Austria´s Chancellor Kern shakes hands with Finance Minister Schelling behind Vice Chancellor Mitterlehner as they arrive in the parliament in Vienna(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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Ein Ideologiestreit beschäftigt die maßgeblichen Kräfte der Regierung. Es geht um Wachstum, Schulden, Europa – und auch um die Positionierung für allfällige Neuwahlen.

Wien/Frankfurt. So ein Spektakel war in der Großen Koalition schon länger nicht mehr da. Diesmal sogar in größerem Stil, gespielt über die internationale Bande.

Den Anfang gemacht hatte Bundeskanzler Christian Kern am Montag in einem ganzseitigen Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“). Darin forderte er ein sozialeres Europa und ein Abgehen von der Sparpolitik. Zitat Kern: „Wir brauchen mehr Wachstum und wieder jene Art von Wachstum, das, wie die Gezeiten am Meer, alle Boote hebt und nicht nur ein paar wenige Yachten.“

Gestern, Mittwoch, meldete sich dann ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling, ebenfalls in der „FAZ“, zu Wort: Kern sei ein „linker Ideologieträger“. Die Thesen des Bundeskanzlers würden in vielerlei Hinsicht der Realität widersprechen. Kern fordere mehr Schulden und Umverteilung, obwohl dieser Weg in die Sackgasse führe. „Schulden sind das Gift und nicht die Heilung für unseren Wohlfahrtsstaat.“

Die Stärkung von Eigenverantwortung, privatem Engagement und Wettbewerbsfähigkeit führe zu Wohlstandsgewinnen, so Schelling und verwies auf die Sozialreformen des deutschen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Und weiter: Kerns Blickwinkel sei „womöglich verzerrt“, weil er nicht aus der freien Wirtschaft komme, sondern „aus einer staatlich geförderten Privatwirtschaft“.

Christian Kerns Konter ließ nicht lang auf sich warten. Im ORF-Radio wies er Schellings Kritik mit den Worten, diese sei „Ausdruck einer bestimmten rechten Ideologie“, zurück. Er, Kern, sehe sich eines Sinns mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der gestern in seiner Grundsatzrede im EU-Parlament eine Verdoppelung des EU-Investitionsfonds gefordert habe, um Beschäftigung anzuregen. „Das ist das, was ich auch möchte. Der Herr Juncker ist ja bekanntlich Mitglied der Europäischen Volkspartei und nicht der Sozialdemokraten“, fügte der Kanzler spitz hinzu.

Auch ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner brachte sich in die Debatte ein. Erst meinte er in einem „Presse“-Interview: „Ich erkenne hier Tendenzen eines realen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Ich bin der Meinung, dass dieser Weg längst von der Geschichte falsifiziert worden ist.“ Dann geißelte er beim Bundestag der ÖVP-Senioren das Eintreten Kerns für eine neue Schuldenpolitik. „Erinnert uns an wen? – Kreisky. Das behindert uns bis heute, vor allem die Mentalität: Geh Staat, mach, gib!“ Und auf Twitter legte er dann noch nach: „Gewagtes Ablenkungsmanöver mit Juncker. Kern-Frage ist, ob wir in Europa auf neue Schulden oder Reformen setzen. Bin im Team Marktwirtschaft.“

New Deal, neuer Stil – alles ein wenig in die Ferne gerückt. Der nun mehr oder weniger wieder sistierte Bundespräsidentschaftswahlkampf legt einmal mehr die nicht auflösbaren Konflikte zwischen den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP offen. Jede Seite trachtet danach, sich zu profilieren – auch im Hinblick auf allfällige vorgezogene Neuwahlen. Christian Kern versucht, sich als Staatsmann europäischen Zuschnitts – und Bannerträger der Linken – zu positionieren.

SPÖ-Chef als Globalisierungskritiker

Und er tritt nun als (moderater) Globalisierungskritiker auf: gegen TTIP und Ceta, für Grenzen in der Zuwanderungspolitik. Wiewohl er Letzteres rhetorisch ein wenig camoufliert, um beim linken Flügel nicht ganz anzuecken. Im „FAZ“-Artikel schreibt er etwa vom zunehmenden Einigeln und den „lange eingemotteten Grenzposten“, mit denen man sich nun wieder beschäftigen müssen. Er frage sich, was man tue, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Und: Es brauche einen Friedensplan für Syrien und einen Marshall-Plan für Afrika.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2016)

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