ORF: „Er wird das Geld bekommen“

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Medienökonom Matthias Karmasin glaubt, dass dem Rundfunk die 60 Mio. Euro Gebührenbefreiungen refundiert werden – „aber nur unter gewissen Bedingungen“.

„Die Presse“: Laut einer Studie bezeichnen 34Prozent der Österreicher den ORF als Lieblingssender – wie passt das zum Quotenschwund (Juli '09: 34%; Juli '06: 40,5%)?

Matthias Karmasin: Übers Jahr gerechnet sind es wohl diese 34 Prozent. Ich halte den Umfragewert für nicht wahnsinnig aufregend.

Holt die EU-Kommission mit ihrer noch bis Oktober laufenden Prüfung den ORF aus dem nationalen Sumpf parteipolitischer Interessen?

Karmasin: Das Beihilfeverfahren trägt zur Versachlichung bei. Denn: Die Ziele des ORF müssen als Erstes festgelegt werden, dann Organisation, Finanzierung, Standort; zuletzt das Personal. Man kann nicht zuerst die Köpfe festlegen und dann ihre Aufgaben.

Wie sehr trägt das zu novellierende ORF-Gesetz zum „neuen ORF“ bei? Wie viel muss das Unternehmen selbst dazutun?

Karmasin: Auf welches Gesetz sich die Koalition einigt, kann derzeit niemand seriös beantworten. Den Rahmen gibt die EU vor. Und natürlich muss der ORF sparen – aber das passiert ja. Die 60 Millionen Euro der Gebührenbefreiungen wird der ORF trotzdem refundiert haben wollen. Meine Einschätzung: Er wird sie bekommen – aber nur unter gewissen Bedingungen.

Unter personalpolitischen Bedingungen?

Karmasin: Das kann durchaus auch sein.

Soll das Gesetz Ihrer Meinung nach ...

... den Stiftungsrat verkleinern?

Karmasin: Eine Verkleinerung (derzeit 35 Mitglieder) ist plausibel. Allerdings sollten dort – wie bei anderen Aufsichtsgremien – Leute sitzen, die etwas von Medien verstehen!

... den Publikumsrat abschaffen?

Karmasin: Das wäre ein ganz schlechtes Signal. Vielmehr sollte man die Kompetenzen des Publikumsrats aufwerten und ihn Stakeholder-orientiert (Stakeholder = am ORF beteiligte Interessengruppen, Anm.) führen.

.. weniger als die derzeit vier bis sechs Direktoren vorschreiben?

Karmasin: Es kommt drauf an: Für ein Angebot, wie die BBC es vorweist, sind sechs Direktoren zu wenig. Für einen Kanal sind sechs zu viel. Die Frage stellt sich auch bei den Landesstudios: Brauche ich für mein Ziel alle neun? Was ist mein Ziel?

... festlegen, dass dem ORF die 60 Mio. Euro der Gebührenbefreiung refundiert werden?

Karmasin: Ich glaube, dass es als Konsequenz des EU-Beihilfeverfahrens dazu kommen wird. Sonst widerspricht dies der transparenten Aufteilung der Zwangsgebühren. Meine Einschätzung ist, dass die Politik sich noch Handlungsspielraum offen lassen will.

... die ORF-Werbezeiten verringern?

Karmasin: Auch hier gilt: Was ist die Zielsetzung des ORF? Zwei Vollprogramme und ein Spartenkanal machen eine Mischfinanzierung (Werbe- und Gebühreneinnahmen, Anm.) in bestehendem Ausmaß nötig.

... das Radio-Symphonieorchester und Filmförderungsmaßnahmen festschreiben?

Karmasin: Diese Förderungen gehören auch zum ORF. Sie sind Frage der politischen Prioritätensetzung. Man kann sie z. B. mit der französischen Auffassung argumentieren: „Öffentlich-rechtlich“ bedeutet den Transport nationaler Identität. Oder: Ist die Objektivität das oberste Ziel wie in Deutschland? Dieses Profil muss definiert werden.

Wie sollte der ORF künftig kontrolliert werden?

Karmasin: Ich bin für das Modell der „regulierten Selbstregulierung“: Der ORF schreibt seine Programmrichtlinien – im Rahmen von EU- und nationalen Vorgaben – selbst: z. B. Wie groß soll mein Anteil an Informationssendungen sein? Ohne dass die Politik eingreift! Diese Richtlinien werden veröffentlicht, eine unabhängige Medienbehörde prüft sie regelmäßig und legt ihre Berichte vor. An ihrer Erfüllung lässt sich die Leistung des ORF besser messen als an der Quote.

Auf wie viele Jahre vorausblickend muss die Koalition mit dem ORF-Gesetz nun handeln?

Karmasin: Nach diesem Modell der Rahmengesetzgebung und der regulierten Selbstregulierung – die auch ohne Gesetzesänderung wie bei BBC, SRG im Unternehmen adaptiert werden kann – auf ca. zehn Jahre.

Haben die handelnden österreichischen Medienpolitiker die dazu nötigen Visionen?

Karmasin: Dazu kenne ich sie zu wenig. Ich habe zuletzt lange mit Medienstaatssekretär Josef Ostermayer diskutiert. Eine Einschätzung, was davon Parteitaktik, was visionäre Medienpolitik ist, fällt mir schwer. Dennoch: Die breite Debatte gibt uns nun die Chance, neu über Medienpolitik nachzudenken. Sie ist Querschnittsmaterie aus bildungs-, kultur-, sozial-, wirtschafts- und standortpolitischen Bezügen. Medienpolitik nur als Presseförderung und Lizenzvergabe zu sehen, das ist zu wenig.

Zur Person

Matthias Karmasin ist Medienökonom und Autor zahlreicher Fachbücher zum Thema. Er lehrt am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt. Morgen, Donnerstag, ist Karmasin einer der Vortragenden bei der ORF-Enquete im Parlament. [Teresa Zötl]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2009)

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