Eine Gruppe europäischer Experten schlägt die Aufstellung einer Nationalgarde vor, um damit das Territorium der Union vor militärischer Bedrohung, Terror und Naturkatastrophen zu schützen.
Wien. Wie kann Europa gemeinsam der terroristischen Bedrohung durch Organisationen wie den IS entgegentreten? Und wie reagiert es auf die Krisen vor seiner Haustür, etwa den Krieg in der Ukraine? Es sind Fragen wie diese, die die EU-Staaten beim Gipfel in Bratislava über eine engere militärische Kooperation diskutieren ließen – und dabei auch über die Idee einer gemeinsamen europäischen Armee (siehe Bericht oben). Solche gemeinsamen Einheiten, wie die schon bestehenden „Battle Groups“, wären vor allem für Einsätze außerhalb der EU vorgesehen. Eine Gruppe europäischer Experten geht nun einen Schritt weiter: Sie fordert, dass die Mitgliedstaaten unter Koordination der EU jeweils eigene Nationalgarden aufstellen.
„Klar ist: Jedes Land braucht eine strategische Reserve, um mit Bedrohungen für das Territorium der EU fertigzuwerden“, sagt der Sozialwissenschaftler und Bundesheer-Oberst a. D. Alfred Lugert. Nicht nur bei militärischen Bedrohungen, sondern auch bei Naturkatastrophen oder größeren Terrorangriffen könnten die stehende Truppe und die Polizeikräfte der EU-Mitgliedstaaten rasch an ihre personellen Grenzen stoßen. Nötig seien deshalb Einheiten aus „EU-Bürgersoldaten“, die im Bedarfsfall mobilisiert werden können, meint Lugert.
Der frühere Milizoffizier, der für UNO, OSZE und EU an Missionen auf Zypern und in Bosnien und Herzegowina teilgenommen hat, ist einer der Autoren des Papiers „EU-interne territoriale Sicherheit und Verteidigung: ein politisches Konzept für eine strategische militärische Reservekomponente“. Der Projektgruppe, die das Dokument entwickelt hat, gehören auch Experten aus Polen, Finnland, Italien und Frankreich an – darunter etwa der frühere Oberkommandierende der UN-Truppen im Libanon, der französische Generalmajor Alain Pelegrini.
Der Vorschlag der Gruppe, eine größere Studie zu dem Thema auszuarbeiten, liege bereits im Büro der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, sagt Lugert. „Es soll dabei um ein politisches Konzept gehen, das die derzeit schon existierenden Militärkonzepte der jeweiligen Mitgliedsländer nicht infrage stellt.“ Die Aufstellung von Nationalgarden sei ein zusätzliches Element, das eine „bisherige Sicherheitslücke“ fülle.
Eine solche Truppe brauche eine flexible, elastische Struktur, mit der man – je nach Bedrohung – die gerade nötige Anzahl von Soldaten bereitstellen könne, heißt es in dem Papier. Das sei nicht nur eine effiziente, sondern auch eine kostengünstige Variante. Im Zentrum des Nationalgarde-Modells steht der gut ausgebildete „Teilzeitsoldat“, der einem Zivilberuf nachgeht und nur für Übungen und eben im Einsatzfall die Uniform anzieht.
EU soll Ausbildung koordinieren
Die Nationalgarden als Verteidigungseinheiten für das EU-Gebiet sollten von den jeweiligen Mitgliedstaaten aufgestellt werden. Auf EU-Ebene sollten dafür gemeinsame Standards entwickelt und Bereiche wie Ausbildung oder Ausrüstung koordiniert werden, sagt Lugert. „Es kann doch nicht sein, dass sich eine politische Union wie die EU nicht um die Sicherheit ihres eigenen Territoriums kümmert.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2016)