Heute werden die deutschen Höchstrichter über die Rechtmäßigkeit des Abkommens befinden. Am Freitag entscheidet das SPÖ-Präsidium.
Brüssel/Wien. Es ist ein schnelles Verfahren mit einem „strengen Maßstab“: Bereits am heutigen Donnerstag will das Verfassungsgericht in Karlsruhe darüber befinden, ob das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) mit dem deutschen Grundgesetz konform ist. Die Zeit drängt, denn am kommenden Dienstag sollen die EU-Handelsminister den Pakt besiegeln – Ceta soll beim EU/Kanada-Gipfel am 27./28. Oktober feierlich unterzeichnet werden. Besondere Vorsicht sei angesagt, „wenn – wie im vorliegenden Fall – eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Außenwirkungen in Rede steht“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle am gestrigen Mittwoch vor Verhandlungsbeginn.
Die Höchstrichter müssen über insgesamt vier Eilanträge gegen Ceta befinden, die von diversen Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen eingebracht wurden. Auch Parlamentarier der Linken und ein EU-Abgeordneter der Ökologisch-Demokratischen Partei beteiligten sich an der Klage. Im Kern geht es um zwei Kritikpunkte: Erstens um Schiedsgerichte für Investoren, die – so die Befürchtung der Ceta-Gegner – demokratisch beschlossene Gesetzesänderungen unter dem Vorwand des Investorenschutzes infrage stellen könnten, und zweitens um den sogenannten Gemischten Ausschuss, der das Handelsabkommen nach seinem Inkrafttreten weiterentwickeln soll. Kritiker befürchten, dass der Ausschuss das Regelwerk von Ceta verändern könnte, ohne dass die nationalen Parlamente dabei ein Mitspracherecht hätten. Vor allem dieser zweite Punkt dürfte für Karlsruhe heikel sein, denn die deutschen Verfassungsrichter haben sich im Zuge der Schuldenkrise und der Konjunkturbelebungsmaßnahmen seitens der Europäischen Zentralbank empfindlich gezeigt, was die Nichtbeteiligung von Mitgliedstaaten am Entscheidungsprozess anbelangt– denn die EU darf sich gemäß ihren Gründungsverträgen keine Vollmachten erteilen, mit denen sie zuvor von ihren Mitgliedern nicht ausgestattet wurde.
Mehrere Stolpersteine
Karlsruhe ist aber nicht der einzige Stolperstein. In Belgien, wo neben dem nationalen auch die regionalen Parlamente zustimmen müssen, liegen sich die nationalen Abgeordneten und die Parlamentarier in der französischsprachigen Wallonie in den Haaren – erschwerend kommt hinzu, dass die linksgerichteten Wallonen der nationalen Mitte-rechts-Regierung ihren Sparkurs übel nehmen. Auch in Slowenien ist der nationale Konsultationsprozess noch nicht abgeschlossen. Rumänien und Bulgarien wiederum könnten sich querlegen, weil ihre Bürger immer noch nicht visumfrei nach Kanada reisen dürfen.
Was passiert also, sollte ein EU-Mitglied ausscheren? Theoretisch müssen die Handelsminister nicht einer Meinung sein, denn die Entscheidung über die Ratifizierung (konkret sind es drei Entscheidungen: über die Unterzeichnung, die vorläufige Anwendung und den endgültigen Abschluss des Abkommens) fällt im Rat nach dem Mehrheitsprinzip. Eine Blockade von Ceta ist also theoretisch nicht möglich – in der Praxis aber sehr wohl, denn der Pakt muss letztlich von allen Teilnehmern unterzeichnet werden. Ein Mitgliedstaat, der im Rat überstimmt wurde, könnte sich also weigern, Ceta zu signieren.
Einer der größten Wackelkandidaten ist dabei Bundeskanzler Christian Kern. DEr wird am morgigen Freitag das SPÖ-Präsidium befragen, ob er Ceta beim EU/Kanada-Gipfel unterzeichnen soll. Um seine Parteikollegen milde zu stimmen, fordert Kern weitere Nachbesserungen an einer Klarstellung, zu der sich sowohl die EU-Kommission als auch die kanadische Regierung bereit erklärt hatten. Der Text wurde zwar schon einmal nachgebessert, nun soll er aber noch durch einen Passus ergänzt werden, der seine Rechtsgültigkeit ausdrücklich festschreibt. Wie der „Presse“ aus der EU-Kommission bestätigt wurde, sind noch weitere Änderungen möglich. Vor der Abstimmung der Handelsminister werden voraussichtlich noch die Botschafter aller EU-Staaten über letzte Details verhandeln. Sie werden Anfang nächster Woche voraussichtlich auch darüber entscheiden, ob der gemeinsame Gipfel mit Kanada stattfinden kann oder verschoben werden muss.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2016)