Wir liken die Demokratie zugrunde

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Donald Trumps Wahlsieg, getragen von einer Welle absurder Falschmeldungen, war nur der Anfang. Facebook sperrt uns in Echokammern, in denen Fakten kaum etwas zählen und Selbstbestätigung dafür alles ist.

Ein paar Jahre, bevor er 2003 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, prägte der amerikanische Politikforscher Joseph P. Overton einen Begriff, der im soeben spektakulär beendeten Wahlkampf um die US-Präsidentschaft neue Aktualität gewann. Das „Overton-Fenster“ beschreibt jene Bandbreite an Haltungen, die ein Politiker in der berechtigten Hoffnung einnehmen kann, sich damit in den Augen der Öffentlichkeit nicht unmöglich zu machen. Von undenkbar über radikal, annehmbar, vernünftig und populär bewegt man sich in diesem Fenster bis zu jenem Punkt voran, an dem aus einer Meinung eine in Gesetzesform gegossene Politik geworden ist.

Bisher vergrößerte sich dieses Fenster des allgemein akzeptierten politischen Diskurses in überschaubarem Tempo. Doch Donald Trumps Wahlsieg hat das Overton-Fenster nicht bloß sperrangelweit aufgerissen. Vielmehr scheint die gesamte Fassade unserer diskursiven Altbauwohnung weggerissen: von einem Sturm namens Facebook.

Falsche Nachrichten beliebter als echte

Hillary Clinton ließ den FBI-Beamten, der ihren privaten E-Mail-Server untersuchen ließ, ermorden; ihre demokratische Partei bezahlt gewalttätigen Chaoten 3500 Dollar, um bei Wahlkundgebungen von Donald Trump Radau zu machen; der Papst ruft auf, Trump zu wählen; Clinton selbst ruft auf, Trump zu wählen: All diese Meldungen – eine falscher als die andere – wurden auf Facebook herumgereicht, Hunderttausende Male „geliked“, von den braven Algorithmen von Google News ganz oben in die Liste der Suchergebnisse geschlichtet.

Das Onlinemedium Buzzfeed analysierte, wie populär Falschmeldungen über die US-Wahl im Vergleich zu echten Nachrichten seriöser Medien in den drei Monaten vor dem Wahltag waren. In der kritischen Phase des Wahlkampfs wurden die 20 beliebtesten Fake-News-Seiten auf Facebook 8.711.000 Mal geteilt, kommentiert, geliked. Im Vergleich dazu erhielten die 20 stärksten echten Nachrichten nur 7.367.000 solcher Reaktionen, die eine interessierte Auseinandersetzung mit dem Inhalt andeuten.

Fake News übertrumpfen echte Nachrichten. Auf seiner internationalen Abschiedstour fasste Obama am Donnerstag in Berlin die Folgen dieser Entwicklung in eine Jeremiade. Er warnte vor „einem Zeitalter, in dem es so viel aktive Desinformation gibt, die sehr gut verpackt ist und echt aussieht, wenn man sie auf Facebook sieht [...] Wenn alles gleich zu sein scheint und keine Unterscheidungen gemacht werden, werden wir nicht wissen, was wir schützen sollen.“

Obamas Warnung vor der zynischen Gleichmacherei von echt und falsch entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Denn in seinen acht Jahren im Weißen Haus hat er den Zugang für die traditionellen Medien scharf reguliert, digitalen Medien oft den Vorzug gegenüber Zeitungen gegeben und generell das Evangelium der Techno-Utopisten aus dem Silicon Valley gepredigt.

Mark Zuckerberg, der Gründer und Chef von Facebook, offenbart jedenfalls eine eher naive Weltsicht: „Von allen Inhalten auf Facebook sind mehr als 99 Prozent authentisch“, schrieb er anfangs dieser Woche. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass bewusste Falschmeldungen den Ausgang dieser Wahl beeinflusst haben.“

Paul Horner widerspricht Zuckerberg. Seit Jahren verdient der 38-Jährige seinen Lebensunterhalt damit, Falschmeldungen und Gerüchte via Facebook und Google in die Welt zu setzen – halb im Scherz, halb aus Profitdenken: Durchschnittlich 10.000 Dollar verdient er monatlich damit, sagte er zur „Washington Post“. Horner ist von der Wirkkraft seiner Schwindelei erschüttert: „Trumps Anhänger posten alles, schicken alles weiter. Niemand prüft den Wahrheitsgehalt. Trumps Kampagnenmanager hat meine Story über Demonstranten, die 3500 Dollar erhalten, als Tatsache veröffentlicht. Dabei habe ich das erfunden.“ Horner ist nicht allein. Mehr als 100 Pro-Trump-Websites entpuppten sich in einer Buzzfeed-Recherche als Erfindungen mazedonischer Jugendlicher aus der Kleinstadt Veles, die sich mit den von Google und Facebook automatisch geschalteten Werbeanzeigen ein Taschengeld verdienten.

All das führt zum Overton-Fenster zurück. Facebook schlichtet uns, entgegen der Beteuerung Zuckerbergs, wie wichtig es sei, „die Sichtweise der Leute auf der anderen Seite zu verstehen“, in diskursive Silos. Mit wem ich nicht übereinstimme, den kann ich mir mit einem Mausklick aus den Augen schaffen. Und ebenso spontan, wie man konträre Meinungen durch das „Entfreunden“ vermeiden kann, lässt sich die eigene Sichtweise durch das Liken bestätigen. Facebooks Liken ist mehr als ein bloßes Mögen. Es ist ein Spontanurteil über die Zugkraft einer Aussage im eigenen Freundeskreis.

Das Infame salonfähig machen

Wenn genügend viele Insassen einer solchen Echokammer sich gegenseitig aufstacheln, schwappt auch Unerhörtes in den öffentlich akzeptierten Diskurs hinein und vergrößert das Overton-Fenster. Wer hätte vor einem Jahr noch gedacht, dass der designierte US-Präsident eine Registrierung für Muslime planen lässt, die in die USA einreisen wollen? Dass er offen lässt, seine geschlagene Gegnerin strafrechtlich zu verfolgen? Oder Rassisten wie Richard Spencer zu seiner Wahlfeier einlädt – einen Mann, der davon träumt, eine rein weiße Gesellschaft zu errichten?

Früher, ehe Facebook uns in Gedankenbunker steckte, wären solche Aussagen ungehört in obskuren Weblogs oder grantigen Selbstgesprächen vor dem Fernsehgerät verpufft. Zuckerbergs Erfindung, die nun 1,8 Milliarden Menschen und somit jeden Vierten auf dem Erdball erfasst hat, lässt jedoch auch das Infame respektabel erscheinen: Es muss nur genügend viele Likes sammeln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2016)

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