Berühren ist mehr als nur Anfassen

Doris Kamleitner
Doris Kamleitner(c) Akos Burg
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Ein paar Minuten die Hand halten, ein Streicheln der Schulter – Doris Kamleitner hat erforscht, wie wichtig Berührungen abseits alltäglicher Handgriffe für todkranke Menschen sind.

Als Erstes legt sie eine Hand auf die Schulter der Patientin. Als Zeichen, dass man da ist. Als Berührung, die einleitet, was in den nächsten Minuten passieren wird. „Guten Morgen“, sagt die Schwester. „Ich beginne jetzt mit der Pflege.“ Waschen, aufsetzen, umkleiden. Es sind gekonnte Handgriffe, die Schwestern und Pfleger Tag für Tag abspulen. Handgriffe, die mit Körperkontakt verbunden sind. Und doch vor allem eines – professionelle Routine. Am Ende ist sie aber wieder da, die Hand auf der Schulter. An derselben Stelle, an der das morgendliche Ritual begonnen hat – als Initialberührung, wie es genannt wird. Als etwas, was mehr als das bloße Anfassen eines Körpers ist.

Es ist dies einer jener Momente, von denen Doris Kamleitner sagt, dass nicht der Körper im Mittelpunkt steht, sondern der Leib. Also nicht nur das, was man sieht, sondern auch das, was manche als Seele bezeichnen. „Pflegen bedeutet immer auch, mit Patienten in eine Beziehung zu treten“, meint die Krankenschwester. Also auch Momente, in denen die Hierarchie zwischen Patient und Pflegepersonal sich auflöst. In denen auch viel Bauchgefühl dazugehört, um herauszufinden, wie es dem Patienten geht, was er braucht.

Es ist ein Aspekt, der vor allem zum Einsatz kommt, wenn es nicht mehr um Hightech geht, darum, Menschen mit dem Einsatz moderner Medizin und technischer Hilfsmittel zu heilen. Sondern dann, wenn es darum geht, Leid zu lindern und Schmerzen erträglicher zu machen. Das ist auch der Grund, warum die 26-Jährige für ihre Masterarbeit in Pflegewissenschaft den Palliativbereich als Forschungsfeld gewählt hat. „Dort geht es nicht nur um Hightech, sondern auch um Hightouch. Da schaut man auf beides.“

Im Frühjahr 2014 sprach sie dazu mit Pflegepersonen im Palliativbereich– aber auch mit Patienten. Wie werden Berührungen empfunden? Wie wirken sie sich auf das Wohlbefinden der Menschen aus? Und wo verlaufen die Grenzen dessen, was als angenehm empfunden wird? „Gerade Palliativpatienten sind sehr mündig, weil sie meist schon lang Erfahrung im Krankenhaus haben“, sagt Kamleitner. „Und viele sagen, was sie mögen und was nicht.“ Und ja, es gebe auch ein Zuviel an Berührung. Wenn etwa ein Pfleger einem Patienten, der fertig gegessen hat, anerkennend auf die Schulter klopfe. „Manche Patienten wollen dieses Betatschen nicht.“


Kleine Signale. Auch bei der Pflege muss man genau schauen, was Patienten angenehm ist und was nicht. Nicht alle etwa möchten ihren Fuß mit ätherischen Ölen massieren lassen – der Fachbegriff lautet „ätherische Streichung. „Da gehört auch viel Vertrauen in die Pflegeperson dazu.“ Und was man bei der einen Pflegerin als angenehm empfindet, will man von einer anderen eben nicht. Von den Pflegern verlangt das in vielen Fällen Fingerspitzengefühl. Dass man schon an kleinen Signalen des Körpers erkennt, wann es zu viel ist. Wenn der Patient etwa die Hand zurückzieht. Oder wenn der Körper sich anspannt – vor allem bei jenen Patienten, die nicht mehr bei vollem Bewusstsein sind, muss auf solche Zeichen geachtet werden.

Noch viel mehr Vertrauen gehört dann dazu, wenn es um Berührungen geht, die nicht mehr ursächlich mit der Behandlung zusammenhängen. Die schon in den Bereich der zwischenmenschlichen Beziehung fallen. „Das Halten der Hand geht über die pflegerische Aufgabe hinaus“, sagt Doris Kamleitner. Und doch gehört es dazu. Weil, wie sie meint, sich jede Pflegeperson wünschen würde, mehr Zeit mit den Patienten verbringen zu können. Weil man auch eine Beziehung zu den Menschen aufbaut. Eine professionelle? Natürlich, immerhin ist es ein Job. Aber zu dem gehört eben auch eine sehr menschliche Seite. Und Professionalität bedeutet in diesem Fall auch, den Mut zu haben zu spüren und zu berühren.

Gerade in Einrichtungen, in denen Effizienz wichtig ist, kommt dieser Bereich freilich manchmal zu kurz. Auch deswegen, weil die Erfolgskontrolle nicht so einfach verläuft wie bei einer medizinisch-technischen Maßnahme. „Wenn man einen Patienten absaugt, sieht man danach das abgesaugte Material“, sagt Kamleitner. „Den Erfolg einer Berührung kann man so natürlich nicht herzeigen.“ Und doch gibt es solche Erfolge. Etwa das angenehme Gefühl, wenn eine Schwester einer Patientin die warmen Hände auf den schmerzenden Bauch legt.

Nicht zuletzt spielen hier auch die Angehörigen, so es welche gibt, eine wichtige Rolle. Gerade im palliativmedizinischen Bereich wird auch verstärkt versucht, sie in die Pflege miteinzubeziehen: indem man ihnen zeigt, wie man jemanden berühren kann, ihnen die Angst nimmt, dabei etwas falsch zu machen. Und umgekehrt helfen Pflegepersonen dann auch ihnen in dieser belastenden Situation. „Da gehört es dazu, auch einmal einen Angehörigen in den Arm zu nehmen.“

Es ist eine auch emotional anstrengende Arbeit für die Pfleger. Doch eine erfüllende, wie Kamleitner meint. Es sind andere Erfolgserlebnisse als etwa in einem Unfallkrankenhaus, in dem sie jetzt arbeitet: „Wenn jemand nach einer Operation wieder stehen kann, berührt mich das natürlich.“ Im Palliativbereich sind es dann eher die persönlichen Momente, sind es kleine Zeichen, ein Lächeln des Patienten, eine Berührung: „Durch das körperliche und emotionale Wechselspiel bekommt man hier unglaublich viel zurück.“

Zur Person

Doris Kamleitner (26) erforschte für ihre Masterarbeit in Pflegewissenschaften die Bedeutung von Berührung auf Palliativstationen. Im Juni wurde sie dafür im Wiener Privatspital Rudolfinerhaus mit dem Elisabeth-Seidl-Preis ausgezeichnet. Derzeit arbeitet Kamleitner im Wiener Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2016)

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