Deutschland: Das Bremsen der Schulden ist unantastbar

The Schuldenuhr debt clockis pictured  in Berlin
The Schuldenuhr debt clockis pictured in Berlin(c) REUTERS (Fabrizio Bensch)
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Österreichs Nachbarn haben sich mit der „Schuldenbremse“ ein Verbot staatlicher Defizite in die Verfassung geschrieben – eine historische Tat oder nur eine Beruhigungspille für Steuerzahler und Finanzmärkte?

Wien.„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – Worte, wie in Stein gemeißelt. Deutschland ist stolz auf sein 60 Jahre altes Grundgesetz, das in aller Welt zum Vorbild wurde und zu Hause einer zutiefst verunsicherten Nation zu einer neuen Identität verhalf. Dieser Effekt wirkt bis heute nach: Jedes deutsche Kind kennt die sonoren Sentenzen im vorderen Teil.

Was weit hinten stand, das wussten die meisten unserer Nachbarn nie so genau. Bis heuer: Denn plötzlich gilt die Neuformulierung des Artikels115, in dem es um den Haushalt des Bundes geht, als Schicksalsfrage für die Zukunft des Landes. Mit einer „Schuldenbremse“ legen sich die Mächtigen seit Juni dieses Jahres selbst Fesseln an – auch wenn der Bremsweg recht lang ist: Die Länder dürfen sich ab 2020 gar nicht mehr neu verschulden, der Bund ab 2016 nur mehr mit 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIPs). Bis dahin soll das strukturelle Defizit schrittweise abgebaut werden. Nur die Schweiz kennt eine ähnlich strenge Selbstbindung.

Schulden ohne Sühne

Ein erstaunlicher Gesinnungswandel: Denn bis vor Kurzem kümmerte sich kaum jemand um die Mahnung zur Sparsamkeit, die schon die Autoren von 1949 den Regierenden mit auf den Weg gaben. Sie war aber auch vage und wenig streng formuliert: Der Staat darf Kredite nur in der Höhe aufnehmen, wie er sie für Investitionen braucht. Die Gründerväter des Grundgesetzes rechneten wohl nicht mit dem Furor, den Bund und Länder beim Ausgeben von Steuergeldern im Laufe der goldenen Zeiten entwickelten.

Bald schon zählten auch Luxusdienstwägen zu den Investitionen, später auch die Zinsen auf die Kredite. Zudem gab es ein Schlupfloch für Schulden ohne Sühne: Wenn ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bedroht erschien, durfte eine Ausnahme gemacht werden. Gleichgewichtsstörungen verspürten die Politiker vor allem im Rausch der Wahlkampfzeiten. Mit dem Ergebnis, dass am Ende das Gleichgewicht des öffentlichen Haushalts selbst gestört war – vor allem in vielen Ländern und Kommunen.

Heute sind hoch verschuldete Länder wie das Saarland, Bremen, Schleswig-Holstein und Berlin auf finanzielle Unterstützung des Bundes und finanzstärkerer Regionen angewiesen. Das führte, in deutschen Worten, zu mächtig Zoff – und dann, in einer Kommission zur Föderalismusreform, zur Idee der Schuldenbremse.

Lange schien sie in den Mühlen der Machtspiele zwischen Bund und Länder zerrieben zu werden. Doch mit der Not wuchs auch die Notwendigkeit: Durch die zwei Konjunkturpakete des Bundes als Antwort auf die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten stiegen die Staatsschulden auf 1600 Mrd. Euro. Allein im heurigen Jahr kommen 80 Mrd. dazu. Sowohl Defizit als auch Gesamtverschuldung steigen damit über die Maastricht-Grenzen.

Dabei stehen nicht nur das Rating und die Kosten der eigenen Staatsanleihen auf dem Spiel. Wenn selbst das reiche Deutschland seinen Haushalt nicht mehr in den Griff bekommt, ist es bald auch um die Stabilität des Euro und damit die wirtschaftliche Zukunft der Union schlecht bestellt. Zur Beruhigung der Finanzmärkte blieb den Deutschen fast nichts anderes übrig, als das ersehnte Signal Schuldenbremse zu senden.

„Schwäbische Hausfrau“

Allerdings deuten die hitzigen Debatten im Vorfeld darauf hin, dass es die Deutschen diesmal ernst meinen. Auch Wirtschaftsweise gerieten in Rage: „Diese Politik ist von der Denkstruktur einer schwäbischen Hausfrau getrieben und leider nicht von der eines schwäbischen Unternehmers“, wetterte Peter Bofinger gegen die Schuldenbremse und malte düstere Zukunftsbilder von bröckelnden Schulmauern und Schlaglöchern auf den Autobahnen.

Tatsächlich brachte er durch seinen Schwaben-Vergleich den Paradigmenwechsel auf den Punkt: Mit Unternehmen, die mit Fremdkapital ihre Zukunft finanzieren, will sich der Staat nicht mehr vergleichen. Zu Recht, weil Politiker in Zyklen denken und keine Gewinne abliefern müssen.

Dass aber die regulären Einkommen über die Kreditwürdigkeit entscheiden, gilt für Hausfrauen wie für Firmen – und auch für den Staat. Diese Demut vor einfachen Wahrheiten haben sich die Deutschen in ihre profane Bibel geschrieben. Alle Menschen sind vor der Mathematik gleich – sogar Politiker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2009)

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