Sensation in Oslo. Niemand hatte Barack Obama auf der Liste.
KOPENHAGEN/OSLO. Als eine der kühnsten, gewagtesten und sensationellsten Entscheidungen in der Geschichte des Nobelpreises ist in Oslo die Vergabe des Friedenspreises an Barack Obama aufgenommen worden. Ein Nobelpreis für einen US-Präsidenten, der noch nicht einmal ein Jahr im Amt ist, der noch keines seiner Versprechen zu erfüllen vermochte und dessen Visionen ihre Tragfähigkeit erst beweisen müssen?
„Was Obama in diesem Jahr zur Veränderung des internationalen politischen Klimas beigetragen hat, reicht vollauf, um die Zuteilung zu rechtfertigten“, wies Thorbjörn Jagland, der Vorsitzende des Nobelkomitees, die Zweifler zurecht. Denn im Testament des Preisstifters Alfred Nobel ist eindeutig verankert, dass der den Preis haben soll, der im abgelaufenen Jahr am meisten zur „internationalen Verbrüderung“ und zur Abrüstung beigetragen hat. Und das, sagte Jagland, treffe auf Obama zu wie auf keinen anderen.
„Seit 108 Jahren versucht das Nobelkomitee genau jene Politik und jene Haltungen zu fördern, deren bester Fürsprecher jetzt Obama ist.“ Multilaterale Diplomatie sei wieder zentral, begründet das Komitee seine Wahl. Die Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen spielten wieder eine Rolle, „Dialog und Verhandlungen sind wieder bevorzugte Mittel zur Lösung selbst schwierigster Konflikte.“
Einer von 205 Kandidaten
Die neue US-Politik, die Abkehr vom Konfrontationskurs George W. Bushs, ist in Oslo so positiv aufgenommen worden wie in anderen Teilen der Welt. Und doch hatte niemand damit gerechnet, dass dies schon 2009 mit einem Friedensnobelpreis belohnt würde.
Auch im Nobelkomitee muss es Zweifel gegeben haben: Erst nach zwei Sondersitzungen in dieser Woche hat sich das fünfköpfige Gremium zu seiner Entscheidung durchgerungen. Menschenrechtsaktivisten aus China, Russland und Afghanistan waren im Vorfeld favorisiert worden; zuletzt glaubten alle an Zimbabwes Ministerpräsidenten Morgan Tsvangirai.
Doch Obama? Natürlich wussten alle, dass er einer der 205 nominierten Kandidaten war. Doch das galt als Formsache. Nein, Obama hatte niemand auf der Liste. Selbst den sonst bestens eingeweihten Reportern fiel die Klappe herunter, als Jagland „Präsident Obama“ sagte.
Vor allem Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt stieß bei den Nobeljuroren auf Beifall. Und seine Klimapolitik. Dank des Präsidenten spielten die USA dort nun eine „konstruktivere Rolle“, betonte Jagland. Die Realität ist düsterer. Der Verzicht auf die Raketenabwehr in Mittelosteuropa ist erst ein kleiner Abrüstungsschritt. Obamas Versprechen zur Reduzierung der Treibhausgase wiederum ist erstens weit von den international für notwendig erachteten Verpflichtungen entfernt und zweitens noch lange nicht in der US-Gesetzgebung verankert. Daher will das Nobelkomitee den Preis auch als „Mutmacher“ verstanden sehen: als Anerkennung, die die Umsetzung hehrer Ziele erleichtern soll.
Jetzt kommt große Nobelshow
Jagland sieht den Preis für Obama in der Tradition der Auszeichnungen von Willy Brandt und Michail Gorbatschow – und musste sich vom Friedensforscher Sverre Lodgaard korrigieren lassen: Als Brandt den Nobelpreis erhielt, war die neue deutsche Ostpolitik schon Realität. Gorbatschow wiederum wurde erst lange nach der Propagierung von Glasnost und Perestrojka ausgezeichnet.
Richtig ist, dass der Nobelpreis immer wieder im Gang befindliche Friedensprozesse unterstützen sollte. Richtig ist auch, dass diese immer wieder scheiterten, trotz Nobelpreis. Das Oslo-Nahost-Abkommen ist der beste Beweis dafür. Anderen hingegen, Osttimor zum Beispiel, half der Nobelpreis bei der Verwirklichung.
So bekam jetzt nicht der „Resultatpolitiker“ Obama den Nobelpreis, sondern der Hoffnungsträger. Auch Kritiker, die meinen, der Preis komme zu früh, können nicht umhin, Obamas Ambitionen in der Abrüstungs- und Klimapolitik zu loben und anzuerkennen, dass er das Ost-West-Klima verbesserte und der islamischen Welt die Hand hinstreckte. Doch, fragen sie, wie wird es in Afghanistan weitergehen, im Irak, im Nahen Osten, in Nordkorea? Den Preis hätte sich Obama nach Ansicht vieler erst verdienen sollen.
Wenn die Entscheidung allerdings dazu beitragen sollte, die weltweite Aufmerksamkeit für den Nobelpreis wieder zu stärken, dann war Obama sicher die richtige Wahl. Jetzt kann sich Oslo auf eine Nobelshow wie schon lange nicht mehr freuen, wenn Barack Obama am 10. Dezember im Rathaus seine Dankesrede hält und sich am Abend auf dem Balkon des Grand-Hotels von einem Fackelzug huldigen lässt, wie dies die Tradition befiehlt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2009)